Gummersbach kämpft gegen das Verschwinden

Handball-Bundesligist VfL Gummersbach will an erfolgreiche Zeiten anknüpfen. Auch mit Spielen in der Kölnarena. Handball auf dem Dorf ist Geschichte

AUS GUMMERSBACH HOLGER PAULER

Am Hang liegt ein grauer verbauter Betonklotz. „Eugen-Haas-Halle“ steht über dem verschlossenen Haupteingang. Erst die dritte Seitentür lässt sich öffnen. Kindergeschrei, quietschende Turnschuhe. Unten, in der Halle trainiert die weibliche C-Jugend des VfL Gummersbach – des deutschen Rekordmeisters und laut eigenen Angaben „bekanntesten Handballklubs der Welt“. Wer das Ambiente sieht, mag es gar nicht glauben.

Die Halle, benannt nach dem verstorbenen Obmann und Macher Eugen Haas, besitzt den Charme der frühen 60er Jahre. 2.100 Leute passen hier rein. Natürlich nur wenn die Rolltribünen ausgezogen sind. Die einst braune Lackierung der Holzbänke auf der Haupttribüne ist abgeblättert. Der Aufkleber, der den Pressebereich auf den Stehplätzen der Gegenseite markieren soll, hat sich dem grauen Bandenuntergrund angepasst. „Hier baut der WDR seine Kameras auf“, sagt Edgar Hartmann. Er ist beim VfL für die sportliche Koordination zuständig.

An diesem warmen Dienstagabend sind keine Kameras da, um das Training der Gummersbacher Profis zu filmen. Nur ein Hörfunkreporter. Vier Tage vor dem Bundesliga-Start will auch er über den „Aufbruch in Gummersbach“ berichten.

Aufbruch in Gummersbach? „Ich will deutscher Meister werden“, sagt Trainer Velimir Kljaic. Klar, wer beim Rekordmeister das Traineramt antritt, muss Ziele haben. Das Problem ist: Die letzte Meisterschaft liegt 14 Jahre zurück. Im Jahr 2000 konnte der Konkurs nur knapp abgewendet werden. In der vergangenen Saison belegte der VfL den fünften Tabellenplatz. 17 Punkte bis zur Tabellenspitze. Klingt nicht unbedingt nach einer soliden Basis.

„Wir sind froh, dass wir die Ziele nicht ausgeben mussten“, sagt Geschäftsführer Stefan Hecker, aber der Trainer habe halt eine gesunde Einstellung. Stefan Hecker, ehemaliger Weltklasse-Torhüter des TuSEM Essen, ließ vor einem Jahr seine Karriere beim VfL Gummersbach ausklingen. Seit Mai dieses Jahres ist er Geschäftsführer des VfL und dabei vor allem für das Sponsoring zuständig.

„Einen Moment, ich muss eben noch die wichtigen Unterlagen verdecken, dann können Sie Fotos machen“, begrüßt er uns. Eigentlich empfange er ja keine Presse, aber heute mache er eine Ausnahme. „Die Anfragen nehmen überhand“, sagt er stolz. In der nächsten halben Stunde erhält er ein Dutzend Anrufe: WDR, Bild, nochmal der WDR. Der VfL ist wieder wer.

Der Verein hat den zweithöchsten Etat der Liga. 4,7 Millionen Euro. So viel wie noch nie. Nur Meister Kiel hat ein paar Hunderttausend draufgepackt. Der Druck sei dadurch zwar gestiegen, so Hecker, aber „glauben Sie nicht allein den offiziellen Zahlen“. Andere Vereine hätten ähnlich viel investiert.

Dennoch lässt sich der Fortschritt bei den Oberbergischen an den Zahlen ablesen. 90 mittelständische Werbepartner hat der Verein mittlerweile akquiriert. „Vor eineinhalb Jahren waren es noch 19“, sagt Hecker. Ab 3.500 Euro pro Jahr kann man einsteigen. Die Sponsorenschaft soll kurzfristig auf 200 aufgestockt werden. „Die Masse macht‘s“, sagt Hecker. Und die Klasse: Zur neuen Saison hat der Verein die WestLB als Großsponsor gewinnen können. „Vor Jahren noch unmöglich“, so Hecker.

Der Verein profitiert dabei von seinen Umzügen in die Köln-Arena. Sechs Spiele fanden dort in der vergangenen Saison statt. In der kommenden sollen es zehn werden. 19.500 Zuschauer passen rein. Bei den Spielen gegen Magdeburg oder Essen war die Arena voll. Zum Vergleich: Die Gummersbacher Eugen-Haas-Halle mit ihren 2.100 Plätzen war in der vergangenen Saison nicht einmal ausverkauft. „Und das, obwohl in unserem Einzugsgebiet rund vier- bis fünftausend Handballfans wohnen“, sagt Hecker. Aber die Leute würden halt das Event wollen , Unterhaltung vor und während des Spiels und hinterher in die Altstadt. „Die Dorfvereine gehören der Vergangenheit an“, sagt Hecker, „der Handball muss in die Metropolen, sonst hast du keine Chance mehr.“

Grün-Weiß Dankersen Minden hat sich wohl auch deshalb den Zusatz Hannover gegeben und spielt in der niedersächsischen Landeshauptstadt. Der VfL Pfullingen bekennt sich zu Stuttgart. „Für uns kommt das nicht in Frage“, sagt Hecker, „auch wenn wir in Köln spielen, sind wir ein Gummersbacher Verein.“

In der 51.000 Einwohnerstadt stoßen die großen Pläne auf Skepsis. Im oberbergischen Tal erfreut man sich lieber an den kleinen Dingen. Am schönen Ausblick auf die dichten Wälder, welche die Stadt umgeben und am Stadtkern, mit seinen vielen, alten Häusern. „Nach Zehn werden hier die Bürgersteige hochgeklappt“, sagt Hecker. Und die Aufbruchstimmung? „Ja, der VfL, die wollen angreifen, wird Zeit, dass wir mal wieder feiern können“, sagt ein älterer Passant. Für Handball interessiere er sich nicht, „aber für Gummersbach“. Auch die Trainingsgäste lassen sich nur schwer von der Euphorie anstecken. „Man muss ja seinen Verein unterstützen“, sagt ein Mittvierziger. Er sei regelmäßig beim Training und bei den Spielen. „Auch in Köln“, aber da erkenne man die Spieler ja gar nicht mehr. „Ist alles so weit weg.“ Ein Anderer glaubt, dass die Ziele für dieses Jahr zu hoch gesteckt sind: „Lemgo, Kiel, Flensburg und Magdeburg“, die seien alle noch stärker. „Der Platz fünf, wie letztes Jahr, das wäre schon toll.“ Bescheidenheit in der Provinz.

Gut, dass Spieler und Trainer davon nichts mitbekommen. „Von der besten Vorbereitung seit Jahren“, redet Nationalspieler Frank von Behren. Das liege vor allem am Trainer Velimir Kljaic. „Er ist ein wahnsinniger Taktiker und ein harter Hund“, sagt van Behren. Morgens zwei Stunden, abends zwei Stunden, im Trainingslager sogar noch eine Laufeinheit zusätzlich. Die Grundlagen für eine erfolgreiche Saison seien gelegt. Zusätzlichen Druck könne er nicht erkennen. „Der war schon in den vergangenen Jahren da gewesen“, so van Behren, „und die Mannschaft hat gezeigt, dass sie damit umgehen kann.“

Die Vorzeichen vor der neuen Saison sind ungemein besser. Jede Position wurde auf Wunsch des Trainers doppelt besetzt. Beim Training sind alle anwesend. 14 Mann. Spielzüge werden eingeübt. Akribisch, wie bei einer Konzertprobe. Die Abläufe werden permanent unterbrochen. Alles muss millimetergenau passen. Der Maestro dirigiert mit Händen und Füßen. „Ihr müsst ein bisschen Fantasie haben“, sagt Kljaic. „So, jetzt der letzte Versuch.“ Die x-te Wiederholung passt. „Wie immer. Das will ich am Sonntag auch sehen“, lautet der letzte Kommentar. Unter dem Applaus der wenigen Trainingsgäste verlassen die Spieler die Halle.