piwik no script img

Auf zur Tour de l’Univers

Das größte Radrennen der Welt in Frankreich ist zwar vorbei, im Universum steigt man aber weiter engagiert in die Pedale – mit der Sonderausstellung „Bike it – vom Laufrad zum Lebensgefühl“

Von Jens Fischer

Ein erster unschuldiger Blick in die neue Sonderausstellung des Universums, „Bike it – vom Laufrad zum Lebensgefühl“, lässt an eine Filiale von Bremens größtem Fahrrad-Dealer denken. In einem offenen Ausstellungsbereich sind in locker abgegrenzten Arealen höchst unterschiedliche Radtypen zu begutachten, in Regalen befinden sich Ersatzteile wie Rahmen, Räder, Antriebe, Ketten, Klingeln und Lampen.

Lautstark wird dazu an 20 interaktiven Stationen Zweirad­technik erkundet, mit Mitarbeitern gefachsimpelt, auch flott in die Pedale getreten oder im Windkanal die aerodynamisch beste Sitzhaltung ausprobiert. Nur zu kaufen gibt es nichts, obwohl Radel-Fans bei all den anwesenden Schmuckstücken schon gern vom Staunen- in den Kaufrauschmodus wechseln möchten.

Das käme sie teuer: Superleichte Rennmaschinen, Falträder, aus Bambus gefertigte Einzelstücke und mit originalem Fake-Fuchsschwanz behängte Bonanza-Bikes würden Tausende Euro kosten. Und einige der historischen Modelle gar seien über 20.000 Euro wert, erklärt Ausstellungsmacher Tobias Wolff. Die mehr als 50 Exponate sind Leihgaben des Veloramas im holländischen Nijmegen und des Museum of Science and Innovation im kanadischen Ottawa. Sie sollen die geschichtliche, gesellschaftliche und technische Entwicklung des Fortbewegungs- wie Fortschrittsmittels, Arbeits-, Sportgeräts und Statussymbols erfahrbar machen. Zudem gibt es hilfreiche Exkurse – beispielsweise Anleitungen zum Knacken von Fahrradschlössern.

Folge eines Vulkanausbruchs

Nur wer stilecht losstrampelt, dabei Strom erzeugt, kann auch einen Film zum Schöpfungsmythos des Fahrrads sehen. Am Anfang allen Zweiradglücks stand der Mangel an Futter für Rosse und Reiter, wird dort erklärt. Die Verwüstungen der napoleonischen Kriege und ein aschig die Welt vernebelnder Vulkanausbruch trieben ab 1815 die Getreidepreise so in die Höhe, dass über Alternativen zur nicht mehr finanzierbaren individuellen Mobilität auf dem Rücken der Pferde nachgedacht wurde: Karl Freiherr von Drais bastelte einen mechanischen Ersatz, der nicht gefüttert werden muss.

Am 12. Juni 1817 saß der adelige Tüftler nach vorn gebeugt auf einem pferdesatteligen Bock, stieß sich mit den Beinen immer wieder vom Boden ab und begann so mit seiner rustikalen Konstruktion loszurollen, deren zwei Räder hintereinander angeordnet waren: ein Prototyp des heute von Kleinkindern geschätzten Laufrades.

50 Jahre später ist das Veloceped kreiert – mit einer direkt am Vorderrad angebrachten Tretkurbel. Da eine Pedalumdrehung einer Radumdrehung entspricht, aber die Ritter dieses Gefährts schneller vorankommen wollten, wurden die Räder immer größer. Maßen schließlich 1,50 Meter im Durchmesser. „Solche Hochräder waren Spielzeug reicher junger Männer und wurden daher auch Dandy Horse genannt“, so Wolff.

Die Schau verweist darauf, dass die folgenden Zweirad-Innovationen grundlegend waren fürs Zeitalter der Automobilität – etwa Kugellager, Luftreifen, Leichtbaumaterialien und standardisierte Massenfertigungsverfahren. Zugleich feiert das Universum die Idee, sich auf zwei Rädern ganz ohne Treibstoff durch die Welt zu tragen, nur durch eigene Körperkraft und mechanische Raffinesse, als letzten Triumph einer Technik, die noch mit und für den Menschen war, weil er sie verstehen und überblicken konnte.

Fahrräder im heutigen Outfit entstanden ab 1886 mit der Erfindung des Nieder- oder Sicherheitsrades: Die Pedalen treiben nun über eine Kette das Hinterrad an. Weitere Entwicklungsschritte und -irrwege sind zu bestaunen, etwa Kabelantriebe und Rahmen aus bröselndem Plastik oder wasserdicht lackierter Pappe. Das Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut zeigt ein aus Mangan mittels 3-D-Drucker produziertes, den Stabilitätsprinzipien von Mi­kroalgen nachgebildetes Fahrrad. Beziehungsanalyse ermöglicht eine dreirädrige Installation: einfach draufsetzen, sich vis-à-vis im Augenkontakt verlieren, gleichzeitig treten, was die Muskeln hergeben – dann erklingt den Paaren um so harmonischere Musik, je besser sie sich aufeinander einstellen können, also je synchroner ihre Bewegungen sind.

Welche Einflüsse das Rad auf politische und soziale Bewegungen hat, wird als Thema zwar groß angekündigt, aber klein ausgeführt. Als Frauen losradelten, wäre die Emanzipation gefördert worden, behauptet die Schau. Und weiter: Den Hippies wären Mountainbikes Drogen für den Freiheitsrausch gewesen, heute erleichterten Fahrräder den Kindern Afrikas den Schulweg und China die Rückkehr zu smogfreien Tagen.

Vorbild Kopenhagen

Die vom Jerusalemer Bloomfield Science Museum zusammengestellte Wanderausstellung wird im Universum um einen Bremen-Bezug ergänzt. „Denn Fahrräder können und sollen hier mehr Bedeutung haben“, so Wolff. Die Hansestadt möchte er kopenhagenisieren. Dort würde dank eingeschränktem Autoverkehr und ausgebauter Fahrradinfrastruktur schon fast die Hälfte aller Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt, in Bremen seien es nur 25 Prozent. Angesichts von Autofahrern, die beim Rechtsabbiegen und Überholen immer wieder Radler fast oder ganz ins Jenseits befördern, sei ein hohes Sicherheitsempfinden zu etablieren.

Studierende der Hochschule Bremen und der Hochschule für Künste haben daher Denkanstöße erarbeitet, um die Autostadt zur Fahrradstadt zu entwickeln. Was bisher an politischem Mut scheiterte, beispielsweise Fahrradbrücken über die Weser zu finanzieren, wie hier vorgeschlagen. Weitere Ideen: Die Bismarckstraße für Autos einengen und abgegrenzt einen selbstleuchtenden Radweg installieren. Hochstraße vorm Bahnhof begrünen und zum Radeln freigeben. Am Stern den Fahrradkreisel höher als die Auto­spur legen. Neu ist das alles nicht – aber anregend bleibt’s.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen