: Seit rechtswidriger Abschiebung verschollen
Ein Uigure ist von München nach China abgeschoben worden, obwohl sein Verfahren noch lief. Schuld ist offenbar eine Kommunikationspanne zwischen Bamf und Ausländerbehörde
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Aus München Patrick Guyton
„Es geht bei einem solchen Fall um Leben und Tod“, sagt die Münchner Grünen-Bundestagsabgeordnete Margarete Bause. Der Rechtsanwalt Leo Borgman fürchtet, dass sein Mandant D. Adilie in China „im Gefängnis oder im Arbeitslager“ steckt. Wie erst jetzt bekannt wurde, ist ein junger uigurischer Flüchtling schon vor vier Monaten von München nach Peking abgeschoben worden – allem Anschein nach rechtswidrig, denn er war in einem Asyl-Folgeverfahren.
Am 3. April um 9.30 Uhr sollte der 22-jährige Adilie persönlich beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) erscheinen, um darzulegen, mit welchen neuen Aspekten er begründet, doch Asyl zu erhalten – nachdem sein erstes Verfahren 2016 negativ beendet worden war. Doch dazu kam es nicht: An jenem Tag kam um fünf Uhr morgens die Polizei und setzte Adilie in ein Flugzeug nach Peking. „Seither haben wir leider überhaupt nichts mehr von ihm gehört“, klagt Anwalt Borgman, der sich in München immer wieder für Flüchtlinge einsetzt.
Offenkundig hätte der Mann nicht abgeschoben werden dürfen. Es ging wohl schlicht und ergreifend ein Fax verloren, in dem das Bamf die Münchner Ausländerbehörde über den Folgeantrag Adilies unterrichtete. Laut dem Anwalt Borgman wurde es vom Bamf an eine falsche Abteilung der Behörde geschickt. Gegenüber dem Bayerischen Rundfunk bedauert das Amt die Abschiebung trotz dieses Antrags: „Es war nie die Absicht der Ausländerbehörde München, die Rechte des von der Abschiebung betroffenen Ausländers zu verkürzen.“
In letzter Zeit sind mehrere Fälle zweifelhafter oder rechtswidriger Abschiebungen bekannt geworden. Mitte Juli war ein Afghane nach Kabul geflogen worden, obwohl seine Klage gegen die Ablehnung noch lief. Er soll nun nach Deutschland zurückgebracht werden. Im April war die Abschiebung eines Syrers nach Bulgarien gerichtlich in letzter Minute gestoppt worden. Eine hochschwangere Frau aus Sierra Leone hatte sich Ende Mai am Flughafen München erfolgreich gegen die Abschiebung gewehrt, indem sie sich auf den Boden warf.
Der Uigure D. Adilie war 2013 im Alter von 17 Jahren über die Türkei nach Deutschland geflohen. Die Uiguren, ein Volk von rund 10 Millionen Menschen, gelten in China als verfolgt. Sie streben mehr Unabhängigkeit von Peking an. Manche von ihnen verüben Gewalt, weswegen die chinesische Führung sie immer wieder pauschal als Terroristen verunglimpft. Menschenrechtsorganisationen sprechen sich gegen Abschiebungen von Uiguren aus. Der Grünen-Politikerin Bause ist bisher kein weiterer Fall bekannt, bei dem ein Uigure aus Deutschland abgeschoben worden wäre. In der Regel erhalten sie Duldungen.
„Mein Mandant ist kein Terrorist und auch kein Gewalttäter“, sagt der Anwalt. Sein Asylantrag war zwar abgelehnt worden. Da sich Adilie in Deutschland aber politisch betätigte – er demonstrierte und verteilte Flugblätter für die Anliegen der Uiguren –, sei er in China umso bedrohter. Deshalb stellte er auch den Folgeantrag.
Margarete Bause wollte Genaueres zu dem Fall wissen und schrieb einige Fragen an Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Dieser gibt in seiner Antwort die Fax-Panne zu: „Die Ausländerbehörde hatte zum Zeitpunkt der Abschiebung keine Kenntnis davon, dass ein Asylfolgeantrag gestellt war.“ Über den Behördenfehler und das Schicksal von Adilie zeigt sich der Minister wenig betrübt: „Eine Information der deutschen Auslandsvertretung erfolgte durch bayerische Behörden nicht.“ Wo der Mann jetzt ist, weiß in Deutschland offenbar niemand.
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