Kunst nur für das liebe Publikum

Das hart erarbeitete Programm verteidigen: Im Münchner Haus der Kunst gibt es Umbrüche

Die Berufung des künstlerischen Direktors ist Chefsache der Ministerin. Die Entscheidung eine politische

Es ist bitter. Zum Schluss fehlten 250.000 Euro. Das Haus der Kunst fällt als Station für die große Werkschau der Video- und Performancepionierin Joan Jonas aus. Diese Entscheidung ist umso bedauerlicher, als die in London als „experimentelle Ausstellung für eine experimentelle Künstlerin“ angepriesene Präsentation gemeinsam von den Kuratoren des Hauses der Kunst und der Tate Modern erarbeitet wurde.

In der Bankside Power Station geht die bisher umfangreichste Auseinandersetzung mit dem in fünfzig Jahren entstandenen, bis heute einflussreichen Œuvre der US-Amerikanerin gerade zu Ende. Die Absage aus München ist auch für die Tate Modern bitter. Aber alles Werben für das Projekt hat nicht geholfen. Der baye­ri­sche Freistaat, mehrheitlich für die „Stiftung Haus der Kunst München gemeinnützige Betriebsgesellschaft mbH“ verantwortlich, hatte bereits außerplanmäßig 1,2 Millionen Euro zugeschossen, um den aus dem Ruder gelaufenen Kulturtanker zu unterstützen. Freunde und weitere Unterstützer des Hauses sagten Mittel zu, aber es reichte nicht, um Joan Jonas nach München zu holen.

Geschäftsführer Bernhard Spies – berufen, um das Unternehmen finanziell und strukturell handlungs- und erfolgsfähig zu machen, sodass ein neuer künstlerischer Direktor durchstarten kann – räumt ein, dass die Entscheidung gegen die Übernahme der Joan-Jonas-Schau auch eine Entscheidung für die von dem langjährigen Haus-der-Kunst-Kurator Ulrich Wilmes erarbeitete Jörg-Immendorf-Retrospektive „Für alle Lieben in der Welt“ war: weil sich die Verantwortlichen von dieser Schau mehr Publikum erwarteten. Die Ticketeinnahmen müssten dringend steigen.

Nun hat das Haus der Kunst seinen Ruf als Bühne für zeitgenössische Positionen aus aller Welt, den es sich unter der Leitung von Chris Dercon und Okwui Enwezor hart erarbeitet hat, zu verteidigen. Ein ambitioniert auf Neues und Wiederentdecktes ausgerichtetes Programm sollte aber – wie an anderen Häusern selbstverständlich – gelegentlich durch Publikumslieblinge querfinanziert werden.

Wer indes das Haus der Kunst nach dem krankheitsbedingten Rückzug von Okwui Enwezor künstlerisch weiterentwickeln wird, steht in den Sternen. Die neue bayerische Kunstministerin Marion Kiechle, knapp 100 Tage im Amt, tritt in einem Interview Gerüchten entgegen, die Beherrschung der deutschen Sprache sei keine primäre Voraussetzung. Allerdings irritiert die Sprache der ehemaligen Chefin der Frauenklinik: Der Neue müsse schon mehrere große Ausstellungen „gewuppt“ haben und international wie national ein „Zugpferd“ sein. Das klingt mehr nach Klamauk als nach Kunst. Immerhin soll der zukünftige künstlerische ­Direktor von einem kaufmännischen Geschäftsführer verantwortlich entlastet werden.

Die Berufung ist Chefsache der Ministerin. Die Entscheidung eine politische. Der Freistaat hat die Mehrheit in den Gremien der Stiftung. Eine Nominierung ist nicht vor Ausgang der bayerischen Landtagswahlen zu erwarten, vermutlich erst Anfang 2019. Bis dahin sollte aber entschieden worden sein, ob das achtzig Jahre alte Denkmal Haus der Kunst in der Zeit seiner dringend notwendigen Sanierung ganz geschlossen oder jeweils hälftig bespielt wird. Wer will schon künstlerischer Leiter einer geschlossenen Institution werden?

Immerhin haben David Chipperfield Architects Berlin jetzt endlich vom Staatlichen Bauamt den Auftrag für die konkrete Vorplanung erhalten, nachdem sie die „planungsvorbereitenden Studien“ nach ihrem Wettbewerbsgewinn bereits 2015 abgeschlossen hatten. Im Herbst 2020 soll dann Baubeginn sein. Bernhard Spies ist zuversichtlich, dass der Plan eingehalten wird. Aber auch beim Bauen gilt: maßhalten.

Damit jetzt erst einmal keine Ausstellungslücke entsteht, soll die Schau des indischen Multimediakünstlers Vivan Sundaram mit dem bezeichnenden Titel „Umbrüche“ in die Verlängerung gehen. Ira Mazzoni