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Archiv-Artikel

Funny, wie sie tanzt und analysiert

FELDSTUDIE Vom Bafög-Amt direkt zum Table-Dance: „This is Niedersachsen und nicht Las Vegas, Honey“ von Funny van Money

VON MARGARETE STOKOWSKI

Es gibt Bücher, da droht die Aufmachung den ganzen Inhalt zu versauen. Bei „This is Niedersachsen und nicht Las Vegas, Honey“ muss man sich schon sehr anstrengen, um über das pink-rosa-weiße Cover und den Titel hinwegzusehen – dann aber entdeckt man ein pointiert geschriebenes Buch einer intelligenten jungen Frau, die sich ihr Studium durch Tabledance finanzierte.

Nein, das Buch von Funny van Money – die ihren bürgerlichen Namen nicht preisgibt – reiht sich nicht ein in die Welle der „Ich studiere und nebenher arbeite ich, Achtung, als Prostituierte, guck mal, wie schmutzig“-Bücher, die vor ein paar Jahren plötzlich überall auftauchten. Bei Funny van Money geht es nicht um Sex, sondern um das Versprechen von Sex, das nicht eingehalten wird. Und für das Männer bereit sind, Unsummen zu zahlen.

Dabei schafft es die Autorin, zwei Gefahren der Rotlichtliteratur gekonnt zu umgehen: Sie selbst ist zu keiner Zeit ein Opfer zwielichtiger Machenschaften. Aber sie romantisiert das Milieu auch nicht als wundersamen Ort von Selbstbefreiung und Triebauslebung. Dass ihr die Arbeit als Tänzerin zu neuem Selbstbewusstsein verhilft, sagt sie ganz offen. Aber auch: „Hab selten so viele heulende Mädchen gesehen, eigentlich seit dem Kindergarten nicht mehr.“

Funnys Weg führt direkt vom Bafög-Amt zum Tabledance. Als ihr Anspruch auf Studienförderung erlischt, sucht sie einen gutbezahlten Job. Nach kurzer Internetrecherche landet sie im „Muschi Malheur“. „Aller Anfang ist schwer“, kommentiert der Clubbesitzer Funnys ersten Tanz, nimmt sie aber trotzdem ins Team auf. Zum Trost steht die Drei-Liter-Wodka-Pumpflasche im Backstagebereich.

Funny kommt von da an jedes Wochenende und tanzt – mal auf der Bühne an der Stange, mal allein für den Gast in einer Einzelkabine. Oberste Regel: Die Gäste dürfen die Tänzerinnen nicht anfassen. Funny verdient zwischen 15 und 500 Euro pro Abend, und jedes Mal beobachtet sie ihre Umgebung ganz genau, führt eine Art Feldstudie als Kulturwissenschaftlerin. Kein Gast bleibt davon verschont. „Ich beuge mich mit meinem Gesicht zentimeternah an seines. Ich will hier im Halbdunkel seine Augen deutlich sehen können. Ich will sehen, ob hier noch menschliche Geisteskräfte walten oder ob ich Nachsicht haben muss mit einem Tier ohne Selbsterkenntnis.“ Heimlich analysiert sie die Männer („Sag nein, Ulf, bitte. Du musst mal lernen, nein zu sagen!“) genau wie die Hierarchien und Strukturen um sie herum: „Bisher hatte ich eher das Gefühl, dass es wenn schon die Männer sind, die hier degradiert werden. Auf ihre animalischen Instinkte degradiert, durch das strategische Vorgehen einer psychologisch reflektierten Frau.“

Gleichzeitig beobachtet sie ihre Mittänzerinnen („Scheiß auf den Diskurs. Diese Fingernägel sind eine Mordwaffe“) und mit Ironie oder leichtem Befremden auch ihr eigenes Verhalten gegenüber den Kolleginnen: „Ich spreche Karin darauf an. Sie hat anscheinend auch mal was studiert, außerdem ist sie Deutsche wie ich. Dass mir beides als Distinktionsmerkmal an sich scheißegal ist, hilft nicht darüber hinweg, dass es hier drin eins ist.“

Natürlich spielt das Buch auch mit Voyeurismus. Schwer zu sagen, wie man einigermaßen konkret über Tabledance schreiben kann, ohne zumindest einen minimalen Voyeurismus zu bedienen. Wenn Funny von ihrer Arbeit erzählt, geht das nicht ohne die Beschreibung von allen beteiligten Körperteilen, von viel nackter Haut, Bewegung, Schweiß. Und es geht auch nicht ohne die besoffen sabbernden Gäste, die ihre erigierten Schwänze rausholen.

Detailliert beschreibt Funny van Money auch ihre abendlichen Schritte vor der Arbeit, „die Kunst der vorbereitenden Imprägnierung“. Es gilt, als Schutz vor Bakterien die Haut möglichst dick einzucremen und sich beim Rasieren auf keinen Fall zu schneiden, die Oberschenkelinnenseiten, Waden und Arme allerdings fettfrei zu halten, um damit genügend Halt an der Stange zu finden.

Während Funny bei ihrer Arbeit Fortschritte macht („Mittlerweile kann ich sogar die Stange hochklettern und mich kopfüber nach hinten fallen lassen (ohne Hände!!!)!“), verliebt sie sich bei einem Heimatbesuch in einen Typen aus ihrem Dorf, der ihre Arbeit skeptisch betrachtet – eine kleine eingeschobene Zusatzstory mit ein bisschen Kitsch, aber schon okay.

Interessanter sind Funnys Reflexionen über ihren Job, den sie weder für besser noch schlechter hält als andere Nebenjobs. „Was machst du eigentlich hier? Du hast das doch gar nicht nötig“, sagt ein Gast zu ihr. Ein anderer sagt, sie solle mal darüber nachdenken, was das Ganze „psychisch“ mit ihr mache. Nachdem er mit seinem besoffenen Kopf auf die Tischplatte geknallt ist, überlegt Funny: „Was macht Tabledance mit seinen Tänzerinnen psychisch? Tsts. Ich meine, was macht dein Job mit dir, ‚psychisch‘? Deine Karriere- und Geldnöte? Dein Sicherheitsbedürfnis?“

Am Ende stellt Funny sogar die These in den Raum, Tabledance sei, wenn es schon kein richtiges Leben im falschen geben kann, zumindest das „Falsche im Falschen“ und daher ehrlicher als ein Job in einem Büro. Ob das stimmt, sei dahingestellt. Es liest sich auf jeden Fall spannender.

Funny van Money: „This is Niedersachsen und nicht Las Vegas, Honey“. Hanser Berlin, Berlin 2012, 224 Seiten, 16,90 Euro