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Mut zum Minimalismus

Leidenschaften entfachen – bei den Salzburger Festspielen gelingt das Romeo Castellucci und Johan Simons mit strenger Reduktion

Im zere­moniellen Ambiente von Castelluccis „Salome“ ist jede Bewegung aufgeladen: Asmik Grigorian (Salome) und Gábor Bretz (Jochanaan) Foto: Ruth Waltz

Von Regine Müller

Nach den ersten drei Premieren und der vorgeschalteten Konzertwoche „Ouverture spirituelle“ lässt sich bei den Salzburger Festspielen zwar weder ein Resümee noch eine belastbare Zwischenbilanz ziehen. Aber es ist doch spürbar, dass an der Salz­ach nun ein Geist herrscht, der ernster, weniger kulinarisch gestimmt ist als in den Jahren, bevor Markus Hinterhäuser 2017 die Intendanz des immer noch größten und wichtigsten Klassik-Festivals der Welt übernahm. „Passion, Leidenschaft, Ekstase“ lautet das diesjährige Motto, und bereits in seiner Festrede zur Eröffnung fordert der Historiker und Schriftsteller Philipp Blom von den westlichen Angstgesellschaften eine neue Aufklärung, verbunden mit einer überraschenden Rehabilitation der Leidenschaft.

Unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen – unter den Gästen war unter anderem Theresa May – geht dann abends mit dem Mozart-Heiligtum „Die Zauberflöte“ in der Regie von Lydia Steier die erste Premiere mit dem üblichen Promi-Aufgebot über die Bühne, gefolgt tags darauf von einer radikalen Deutung von Richard Strauss’ Schocker „Salome“ durch den umstrittenen Regisseur Romeo Castellucci, und schließlich Johan Simons’extrem eingedampfte Version von Kleists „Penthesilea“. Alle drei Produktionen trennen ästhetisch Lichtjahre, aber die Dominanz eines gewissen Purismus ist unübersehbar.

„Die Zauberflöte“ ist das Schicksalsstück einer Festspiel-Ära, denn an der Akzeptanz dieses Evergreens kann sich Wohl oder Wehe einer Intendanz entscheiden. Mit Lydia Steiers märchenhafter Deutung gelingt nun ein Art Konsens-Spagat, der kulinarisch gesinnte Traditionalisten nicht verstimmt, aber auch ernste Töne anschlägt.

Die disparate Handlung von Mozarts zwischen Maschinenoper, Volksstück und humanistischer Parabel schillerndem Singspiel bändigt Steier mit einem Rahmen: In einer großbürgerliche Wohnung im Wien des 19. Jahrhunderts bringt der Großvater – Klaus Maria Brandauer (für den erkrankten Bruno Ganz) – drei Jungen ins Bett. Damit die Rasselbande einschläft, liest Opa die Geschichte der Zauberflöte vor. Steier streicht also die Dialoge und legt dafür Brandauer neue Texte in den Mund. Die Geschichte ermuntert die Jungen, die natürlich Mozarts drei Knaben sind, sich rasch ins Geschehen zu mischen. Das sich, angeregt durch die Comicreihe „Little Nemo“ nun in eine quietschbunte Zirkuswelt mit ruhelos bewegten Treppen und Podien verwandelt. Sarastro (eine sympathische Fehlbesetzung: Matthias Goerne) ist der Direktor des Artisten- und Clownvölkchens, das aber nicht nur lustig ist, sondern auch mehr Lohn fordert. Die Zirkus-Metapher ist natürlich uralt und überreizt, sie trägt Mozarts krude Handlung aber über ihre Ungereimtheiten hinweg. Allerdings kassieren die virtuos komponierten Wimmelbilder einen Teil der humanistisch-aufklärerischen Aspekte mit ein. Musikalisch herrschen extrem rasche Tempi, aber es gibt auch immer wieder Momente des Innehaltens: Constantinos Carydis im Graben agiert manchmal plakativ und willkürlich, aber die Wiener Philharmoniker klingen wie ein historisch informiertes Ensemble mit schlanker Tongebung und sprechender Phrasierung. Das Sängerensemble ist durchweg famos, aber etwas zu leicht besetzt. Einhelliger, aber gemäßigter Jubel.

Sekundenlange Totenstille vor tosendem Jubel dann am nächsten Abend in der Felsenreitschule. Überraschend einhellig applaudiert das Salzburger Publikum Romeo Castel­luccis verrätselter Regie, die aus den Leerstellen ihre dramatische Wucht bezieht. Und feiert begeistert die Sopranistin Asmik Grigorian, vor der Castellucci beim Schlussapplaus auf die Knie fällt.

Wie immer ist Castellucci sein eigener Bühnen- und Kostümbildner und steuert auch das magische Licht. Dem auratischen Raum der Felsenreitschule mit ihren Arkaden verweigert er sich und überhöht ihn zugleich, indem er die Rundbögen optisch schließt und so einen bedrückenden, rohen Raum schafft. Der Boden ist mit spiegelndem Messing bedeckt, nur wenige Requisiten kommen zum Einsatz. Ansonsten spielt Castellucci mit suggestiv eingesetztem Licht und abstrakten Formen: eine schwarze Sonne wächst bedrohlich an, eine runde Öffnung im Boden ist die Zisterne, in der Jochanaan predigt und später ein lebendiger schwarzer Hengst nervös tänzelt, eine zweite bleibt flach und wird mit Milch gefüllt, in der Salome badet.

Castellucci arbeitet wie stets an den Grenzen eines rituell verstandenen Theaters zur Kunstinstallation und zeigt eine archaische Welt elementarer Einsamkeit, in der die Leidenschaften und Perversionen glühen. Den gefährlichen Momenten verweigert er sich: Statt den Schleiertanz zu zeigen, kauert Salome in embryonal gefesselter Haltung auf einem Stein. Eine Verweigerung, die sie gleichzeitig als Missbrauchsopfer zeigt.

Später spielt Salome versonnen mit dem abgeschlagenen Kopf des Hengstes, statt mit dem Jochanaans, auf die Bühne wird aber dessen kopfloser, nackter Körper gezerrt. Im zeremoniellen Ambiente seines Bühnenraums spart Castellucci an äußerer Aktion, oft verharren die Personen in reglosen Tableaus, jede Bewegung ist aufgeladen mit äußerster Konzentration.

Franz Welser-Möst im Graben entfacht mit den Wiener Philharmonikern ein Feuerwerk an Nuancen, durchleuchtet Strauss’ Partitur bis auf ihren lodernden Grund und schafft ein subtil flackerndes Grund-Klima, das die üblichen Lautstärke-Orgien vergessen lässt. Asmik Grigorians Sopran ist kein hochdramatischer, sondern eine jugendlich klingende Spinto-Stimme von glühender Intensität und Leuchtkraft. Auch äußerlich ist Grigorian eine Idealbesetzung dieser mörderischen Partie. Weltklasse auch die weiteren Sänger, mit denen Welser-Möst hörbar an kleinsten Details gefeilt hat, insgesamt ist diese „Salome“ ein großer Wurf.

Statt den Schleier­tanz zu zeigen, kauert Salome in gefesselter Haltung auf einem Stein

Tiefschwarzer Raum

Szenischer Purismus in einer völlig anderen ästhetischen Spielart dann in Johan Simons’Inszenierung von Kleists „Penthesilea“. Nachdem bereits Michael Thalheimer in Frankfurt Kleists Personal auf drei Protagonisten reduzierte, geht Simons mit seinem Dramaturgen Vasco Boenisch noch einen Schritt weiter, denn er beschränkt sich auf die Titelheldin Penthesilea, Königin der Amazonen, und ihren Liebes-Kampf-Gegenspieler Achill. Als „Schrei nach Liebe und Schrei gegen den Krieg“ hat Simons vorab Kleists Trauerspiel bezeichnet, und tatsächlich lässt der Regisseur dem Krieg keinen Raum auf der Bühne. Vielmehr verlagert er ihn ganz in den heißen Kern des Geschehens, nämlich den Kampf der Geschlechter, den die Star-Schauspieler Sandra Hüller und Jens Harzer höchst virtuos in den unterschiedlichsten Tonlagen, Befindlichkeiten und (Geschlechter-)Identitäten ausfechten.

Johannes Schütz hat im Salzburger Landestheater einen tiefschwarzen Raum installiert, am Bühnenrand strahlt ein schmaler Streifen bläulich fahlen Neonlichts auf die Bühne und seziert das schicksalhafte Paar, das in langen schwarzen Röcken gewandet ist. Im Laufe des Abends wird der Lichtstreifen breiter und breiter, bevor er sich – nach Momenten echter Innigkeit – wieder verengt.

Mit der eingedampften Textfassung erhalten die beiden Protagonisten auch die Mauerschau-Passagen, was eine verfremdende Distanz schafft. Den grausamen Schluss – wenn Penthesilea den Geliebten zerfleischt, weil sie seine Strategie nicht durchschaut – lässt Simons wiederholen. Erst schildert Harzer seinen eigenen Tod, dann Hüller den Achills und schließt ihren Selbstmord an. Kein Tropfen Blut fließt in zwei Stunden und das Ende springt zum Anfang zurück: „Und du, wer bist du?“, fragt Hüller in die Tiefe der Bühne hinein. Gleichfalls ein starker, intensiver und fordernder Abend. Ein vielversprechender Auftakt.

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