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Warum sachlich, wenn es auch emotional geht?

Geht der Trend zur schreibenden Lektorin? Natalie Buchholz zeigt in ihrem Debüt „Der rote Swimmingpool“, was sie vom Handwerk des literarischen Schreibens versteht

Zur Familien­idylle gehört in diesem Roman ein großes Haus mit Garten und Swimmingpool Foto: ­Christopher Anderson/Magnum Photos/Agentur Focus

Von Carsten Otte

Der Buchmarkt schrumpft, der Absatz sinkt, und immer mehr Leserinnen und Leser wenden sich anderen Freizeitbeschäftigungen zu. So die bekannte und weitgehend richtige Analyse, die nach anfänglicher Schockstarre auch im Literaturbetrieb leidenschaftlich diskutiert wird.

Es mehren sich gar die pessimistischen Stimmen, die den Untergang der Buchkultur beschwören. Doch sowohl die Freude der Autorinnen und Autoren, Bücher zu schreiben, als auch die Lust der Rezipien­ten, an dieser Freude durch Lektüre teilzuhaben, bleibt ein Massenphänomen. So lässt sich auch weiterhin mit lebensnahen oder völlig verschrobenen, mit berührenden oder abstoßenden Geschichten in Textform Geld verdienen; auch bietet Literatur als sinnstiftende Kunstform noch einen so starken gesellschaftlichen Resonanzraum, dass der Markt berechtigterweise nicht aufgegeben wird. Interessant sind hierbei die teils hilflosen und dann wiederum durchaus cleveren Strategien der Verlage, dem Trend zu trotzen.

Maßgeschneiderte Mangas

Eine erfolgreiche Variante besteht darin, wachsende Subkulturen mit maßgeschneiderten Publikationen zu bedienen; das geschieht etwa im Manga- und Cosplay-Bereich. Die Konzentration auf gut verkäufliche Genreliteratur, die in vielen Fällen aber genau das nicht ist, nämlich Literatur, bietet dagegen mittel­fristig kein Argument fürs Lesen, weil der Trash die Enttäuschten letzten Endes zur besser konfektionierten audiovisuellen Unterhaltung treibt. Qualitätsbewusste Literaturverlage indes suchen derzeit oft nach generationenübergreifenden Epen wie Elena Ferrantes neapo­litanischer Freundinnen-Saga.

Doch nicht jeder Verlag hat eine so professionelle Autorin im Programm. Die Konkurrenz hat aus dem Fall dennoch gelernt, dass Bücher gut verkauft und gut besprochen werden, die von ausgewiesenen Textprofis verfasst worden sind. Weil sich diese Leute nicht nur mit dem Schreiben, sondern auch mit dem Publikum gut auskennen, zu dem sie selbst zählen.

So wird es künftig noch mehr Romane zu lesen geben, die von Übersetzerinnen und Übersetzern, Lektorinnen und Lektoren, Journalisten und Journalistinnen sowie Schauspielerinnen und Schauspielern geschrieben worden sind. Selbstverständlich lassen sich Erfolge auf dem Buchmarkt nicht eins zu eins reproduzieren. Als Literaturkritiker darf man sich aber zunächst einmal freuen, weil – und das ist schon jetzt abzusehen – zahlreiche Debüts von jenen Textprofis erscheinen werden, die auf einer ersten Ebene handwerklich gut gemacht sind und die dann manchmal auch einen sehr eigenen Sinn für Poesie entfalten.

Nathalie Buchholz, 1977 im Elsass geboren, aufgewachsen in München und Rosenheim, arbeitet zum Beispiel hauptberuflich als Lektorin für belletristische Texte in einem großen deutschen Verlag. Natürlich ist es ein Unterschied, einen Text zu korrigieren oder selbst einen Roman zu schreiben, aber schon mit ihrem Debüt „Der rote Swimmingpool“ zeigt Buchholz, dass sie vom Handwerk des Schreibens sehr viel versteht.

„Eigentlich war bei uns zu Hause alles gut“, lautet der erste Satz des Romans, der auf den ersten drei Seiten noch zweimal variiert wird. „Eigentlich“ heißt hier: Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt war alles gut, dann aber hat sich alles geändert im Zuhause des jugendlichen Ich-Erzählers Adam. In einer einfachen, aber nicht banalen und keineswegs auf Jugendlichkeit getrimmten Sprache schwärmt der bald 18-Jährige von seiner französischen Mutter, die so gut aussieht, dass auch seine Freunde beeindruckt sind. Auch wenn der Vater, ein Unternehmensberater, oft unterwegs ist, führen die Eltern nach Ansicht des Sohnes eine „gute Ehe“ oder das, was sich Adam darunter lange Zeit vorstellte: „Es war schön, ihnen dabei zuzusehen, wenn sie miteinander sprachen oder einfach nur nebeneinandersaßen. Dann leuchtete etwas zwischen ihnen.“

Natalie Buchholz: „Der rote Swimmingpool“. Hanser Berlin, Berlin 2018, 288 Seiten, 19 Euro

Zur Familienidylle gehört ein großes Haus mit Garten und Swimmingpool. Das Schwimmbecken wird allerdings nicht deshalb gebaut, damit der Nachwuchs darin planschen kann, sondern weil die Mutter das Meer ihrer Heimat vermisst. „Blutrot“ müssen die Kacheln sein, weil das dem Bauherrn gefällt und er meint, diese Farbe passe „hervorragend“ zu der Dame, die wiederum zur Freude des Hausherrn darin ihre Bahnen ziehen soll.

Rot ist aber bekanntlich nicht nur die Farbe der Liebe, sondern auch des Feuers und der Zerstörung, und so ahnen wir schon, dass es in dieser Geschichte darum gehen wird, wie schwer es ist, wilde Emotionen zu domestizieren. Doch nicht die Mutter, die sich in der deutsch-provinziellen Eigenheimidylle nicht wohlfühlt, sondern der Vater verlässt ohne Erklärung die Familie und distanziert sich von Adam, der das weder akzeptiert noch verkraftet.

Hier entwickelt sich nun das erste Spannungsmoment des Romans, denn der verstört-verärgerte Junge will herausfinden, warum das einstige Vorbild sich so schäbig verhält. Also taucht er ein in die Geschichte seiner Eltern, und er entdeckt, dass diese Ehe auf einer folgenschweren Lüge basiert.

Trauriger Vogel Jugend

In die Familiengeschichte, die im Präteritum gehalten ist, hat Natalie Buchholz eine weitere Erzählebene im Präsens eingezogen, die sich schon bald zum Hauptstrang entwickelt. Darin wird das Thema des Textes ausbuchstabiert, geht es doch um den sehnsüchtigen und traurigen Vogel Jugend, der mit einem Überschuss an Naivität und Idealen durchs Leben segeln möchte, aber böse abstürzt, weil er die Schmerzen und Sehnsüchte der anderen verkennt.

Adams Liebe zu seinem Vater schlägt in Hass um, seine Raserei bringt Menschenleben in Gefahr, und so muss er Sozialstunden ableisten. Die Szenen, die von der Pflege einer alten Dame handeln, zeigen nun, wie erfahren Debütantin Buchholz zu erzählen weiß: In der durchaus anspruchsvollen Rollenprosa gelingen ihr auch die intimsten Momente. Beeindruckend, wie behutsam das Waschen eines alten Körpers in Worte gefasst ist und wie hier der Jugend die eigene Vergänglichkeit beigebracht wird.

Die Szenen, die von der Pflege einer alten Dame handeln, zeigen, wie erfahren die Debütantin zu erzählen weiß

Die Figuren werden beim Fortgang der Lektüre vielschichtiger, und das gilt nicht nur für unseren sensiblen Helden und seine Eltern, sondern auch für Adams philosophierenden Freund Tom, der als Antipode angelegt ist und von dem es heißt: „Immer wenn es emotional wurde, wurde er sachlich.“

Auch wenn für Adam vor allem die unmittelbar ausgelebten Gefühle zählen, wird ihm gerade seine in der Strafarbeit gewonnene Nachdenklichkeit und Besonnenheit helfen, die etwas struppige Tina kennenzulernen. Coming of Age, der schwere Prozess des Erwachsenwerdens, heißt für ihn schließlich, die Trennung der Eltern mit einer eigenen Liebeserfahrung zu überwinden.

Der Roman „Der rote Swimmingpool“ hält auch eine deutliche Anklage bereit: Wenn Eltern sich trennen, ohne sich ausreichend zu erklären, führt das zu einer Katastrophe. Die Klagen der Kinder einfach zu ignorieren aber gleicht seelischer Folter. Auch wegen dieser Dimension muss man den Text zur derzeit so beliebten All-Age-­Literatur zählen. Wahrscheinlich wird „Der rote Swimmingpool“ tatsächlich einen altersmäßig erweiterten Leserkreis von Teenie bis Oldie überzeugen können.

Natalie Buchholz hat übrigens in einem Interview erklärt, noch einen zweiten Roman ­veröffentlichen zu wollen. Wenn sie es dann schafft, auch gegen jede Zielgruppenan­alyse den ihr ­vertrauten Kosmos von Provinz­jugend und Familien­abgrund im nächsten Werk zu verlassen, wenn dann noch eine ebenso versierte Kollegin vielleicht die wenigen Manierismen aus dem Manuskript streicht, wird die Autorin bald nicht mehr selbst zum Lektorieren kommen.

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