piwik no script img

Am blonden Haar ersticken

Was das Glück mit Fluglärm zu tun hat und mit Privilegien und Normen: Die Ausstellung „Lucky“ in der nGbK hinterfragt mit die Rede vom Glück mit Kunstwerken und aus queer-feministischer Perspektive

Von Inga Barthels

Der Hochzeitstag ist der glücklichste Tag im Leben einer Frau. So heißt es zumindest in einer Unmenge von Magazinen, Filmen und Büchern. Die rumänische Künstlerin Ileana Pascalau hat diesem Tag ein Denkmal gesetzt und ein Brautkleid mitsamt Schleier in Silikon gegossen. Es schimmert bläulich, mystisch, schön. Doch wer genauer hinsieht, erkennt dunkle Punkte im weißen Stoff. Unzählige kleine Würmer tummeln sich in der Skulptur. Pascalau will mit ihrer Arbeit den Mythos der glücklichen Braut hinterfragen. Ist normative Zweisamkeit wirklich der Schlüssel zum Glück? Oder bietet die Institution der Ehe nicht auch oft einen Schutzraum für Erniedrigung und Verbrechen? Schließlich ist Vergewaltigung in der Ehe auch in Deutschland erst seit zwanzig Jahren strafbar.

Pascalaus Skulptur ist eine von 15 Arbeiten, die in der neuen Gesellschaft bildender Kunst (nGbK) im Rahmen der Ausstellung „Lucky“ zu sehen sind. Das queer-feministische Kurator*innenkollektiv Coven Berlin hat sich für die Schau mit Vorstellungen des Glücks auseinandergesetzt. Sprüche wie „Jeder ist seines Glückes Schmied“ sind allgegenwärtig, doch nicht alle Menschen bekommen überhaupt die Chance, Glück zu haben und glücklich zu sein. Coven will mit der Schau das Glück als kulturellen Mythos entlarven, der Privilegien normalisiert und so gesellschaftliche Veränderungen bremst.

Körperliches Unbehagen

In der Ausstellung geht es also weniger um Glücksmomente, als um verschiedene Formen der strukturellen Diskriminierung. Eine der beeindruckendsten Arbeiten kommt von der Künstlerin Nicola Awang aus Trinidad und Tobago. In dem Kurzfilm „refahmation“ sind zwei an einem Tisch sitzende Women of Color zu sehen. Auf ihren Tellern liegen Berge von blondem Kunsthaar, die sie zu verschlingen beginnen. Wie sich die Frauen das Haar in den Mund stopfen und fast daran ersticken, löst im Betrachtenden des Videos selbst körperliches Unbehagen aus. Und kann vielleicht einen kleinen Einblick geben in das unablässige Bombardement mit westlichen Schönheitsidealen, allen voran das Ideal glatter, blonder Haare, denen Women of Color ausgesetzt sind.

Viele hätten Angst, dass Tegel geschlossen wird, da dann die Mieten in die Höhe schießen

Begleitet wird die Schau in der nGbK von einer Vielzahl an Performances, Filmen und Gesprächen. Am Samstagabend diskutierten Tanja Abou, Ruby Sircar und Anne Potjans aus einer feministischen Perspektive über das Verhältnis des Glücks zu Arbeit, Klasse und Kapitalismus und die Frage, was „harte Arbeit“ bedeutet. Alle drei bewegen sich im akademischen Kontext und sind dort verschiedenen Diskriminierungsformen ausgesetzt. So bezeichnet sich Tanja Abou selbst als „Unterschichtsakademikerin“. Sie sieht „harte Arbeit“ als Spaltungsbegriff, der arme Menschen gegeneinander ausspielt, während Wohlhabende sich selbst verwirklichen dürfen. Alle drei sind sich einig: Glück haben kann oft nur, wer bereits privilegiert ist. Der Ausschluss von höherer Bildung durch die soziale Herkunft beginnt früh und wird im Studium fortgesetzt, durch die komplizierte Sprache oder die Normalisierung unbezahlter Praktika. In der neoliberalen Arbeitswelt werden Errungenschaften der Vergangenheit wie feste Arbeitszeiten und Solidarität in Form von Gewerkschaften aufgelöst und durch Maxime der Individualität und Flexibilität ersetzt. Strukturelle Diskriminierung kommt in neoliberalen Diskursen darüber, wer sich Erfolg und Glück durch harte Arbeit verdient hat, so gut wie nicht vor.

Wie vielfältig Benachteiligungen durch soziale Klasse sind, macht eine Arbeit der spanischen Künstlerin Anaïs Senli deutlich, die sich mit der Frage von Umweltgerechtigkeit beschäftigt. Für ihr Projekt „Local Warming“ hat Senli Gespräche mit Anwohner*innen einer Kleingartenkolonie in Reinickendorf geführt und dort recherchiert. Eine Studie von 2015 hat gezeigt, dass die Anwohner*innen der Scharnweberstraße durch die Nähe zum Flughafen Tegel erheblicher Luftverschmutzung und Lärmbelastung ausgesetzt sind, was dazu führt, dass sie eine niedrigere Lebenserwartung haben als andere, besser situierte Stadtbewohner*innen.

Die Ergebnisse präsentiert Senli in einem Mini-Gewächshaus, in dem keine Pflanzen, sondern nur Kies und Asphalt den Boden bedecken – mangelnde Grünflächen sind ein weiteres Problem in dem Stadtteil. Immer wieder schallt ohrenbetäubender Fluglärm durch Lautsprecher. Auf zwei Bildschirmen sind idyllische Bilder aus der Kleingartenkolonie und Zitate der Anwohner*innen zu sehen. Viele hätten Angst, dass Tegel geschlossen wird, da dann die Mieten in die Höhe schießen, lautet eine Aussage. Die Anwohner*innen wissen, dass die Flugzeuge sie krank machen. Für einen Ort zum Leben nehmen sie das Gesundheitsrisiko in Kauf.

„Lucky“ in der nGbK, Oranienstr. 25, tägl. 12-19 Uhr, Mi.–Fr. 12–20 Uhr, bis 2. September

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen