: Schon wieder Nervengift im Süden Englands
Ermittler: Der im März gegen die Skripals verwendete chemische Kampfstoff hat neue Opfer gefordert
Von Dominic Johnson
Vier Monate nach dem Giftanschlag auf den russischen Ex-Agenten Sergei Skripal und seine Tochter Julia im englischen Salisbury sind erneut zwei Menschen durch Reste des damals eingesetzten Kampfstoffes vergiftet worden. Dies jedenfalls ist die Erklärung der britischen Behörden für den Fund zweier bewusstloser Menschen in Amesbury, einem Nachbarort von Salisbury, am vergangenen Samstagabend. Die Polizei teilte am Mittwochabend mit, das in seinem Haus aufgefundene Ehepaar, 45 und 46 Jahre alt, sei mit demselben chemischen Kampfstoff „Nowitschok“ vergiftet worden wie am 4. März die Skripals. Sie befänden sich in einem kritischen Zustand.
Für den Skripal-Anschlag, den beide Opfer nach Wochen im Koma überlebten, hatte Großbritannien Russland verantwortlich gemacht – britische Antiterrorermittler, bestätigt durch die internationale Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW), hatten einen nur aus russischer Militärherstellung bekannten Kampfstoff aus der „Nowitschok“-Familie als Verursacher identifiziert. Russland hat das vehement zurückgewiesen.
Nie geklärt wurde, wer genau den Anschlag verübte und wie. Einen direkten Kontakt zwischen Täter und Opfern gab es den bekannten Erkenntnissen zufolge nicht; es wurde wohl die Türklinke von Skripals Haus kontaminiert. Daher ist bis heute unbekannt, wo sich der mutmaßliche Attentäter überall aufhielt – weitere Orte und Gegenstände könnten verseucht worden sein. Man geht jedoch davon aus, dass die beiden neuen Opfer mit einer alten Nowitschok-Spur in Kontakt geraten sein könnten, vielleicht einer weggeworfenen Nadel – auch nach Monaten könnte das extrem starke Nervengift noch wirken.
Die amtlichen Reaktionen sind extrem vorsichtig. Bekannt wurde der neue Vorfall erst nach Tagen. Dann wurde über eine Drogenvergiftung spekuliert – Amesbury liegt in der Nähe des Steinzeitdenkmals Stonehenge, um die Sommersonnenwende Wallfahrtsziel halluzinatorisch veranlagter Besucher. Erst am Mittwochabend erfolgte die Nowitschok-Bestätigung, wobei offen blieb, ob das Gift aus derselben Charge kam wie das Skripal-Gift.
Eine offizielle Schuldzuweisung Richtung Russland hat es bislang nicht gegeben. Die britische Regierung hat aber Russland zur Zusammenarbeit aufgefordert, um den neuen Fall aufzuklären und weitere mögliche Sekundärvergiftungen zu verhindern: Die russische Seite müsse endlich alle Details über den Skripal-Anschlag offenlegen, sagte Innenminister Sajid Javid im Unterhaus. Außerdem hat London erneut die OPCW eingeschaltet.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen