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Den Bruch im Blick

Das Hamburger Barlach-Haus zeigt den weitgehend vergessenen Expressionisten Josef Scharl. Es ist die erste Einzelschau nach fast zwanzig Jahren

Von Jan-Paul Koopmann

Der mit dem Bärtchen ist Hitler. Er steht da als Oberkellner am rechten Bildrand und schmeißt die Künstler aus seinem Café. Karl Valentin vorne weg, Vincent van Gogh und Paul Gauguin hinterher. Dieses Gemälde, „Blinder Bettler im Café“, ist von 1927 und die Vertreibungsszene dürfte heute beklemmender wirken als damals. Die Gestalten drum herum lassen den Hitler-Kellner gewähren, Prominente aus Kunst, Literatur und Politik. Weitgehend vergessen hat man den Maler dieses Werks, Josef Scharl – weil er wenig später wirklich gehen musste und im Exil so recht keinen Fuß mehr auf den Boden bekam.

Die Ausstellung „Josef Scharl – Zwischen den Zeiten“ im Hamburger Barlach-Haus ist darum eine kleine Sensation. Sie ist kürzlich aus dem Bremer Paula-Modersohn-Becker-Museum dorthin umgezogen und das Kooperations-Projekt ist die erste Scharl-Ausstellung seit fast 20 Jahren.

Entlang Scharls wichtigsten Arbeiten erzählt die Schau seine Geschichte: Anfang der 1920er-Jahre bricht Scharl sein Studium an der Akademie der bildenden Künste in München vorzeitig ab und bildet sich autodidaktisch weiter. Die Ausstellung präsentiert aus dieser Zeit impressionistische Landschaftsbilder und Tierdarstellungen, auf die wenig später Selbstbildnisse und Porträts „einfacher Menschen“ folgen.

In der Kunstszene kommt das an – und wenig später auch auf dem Markt. Anfang der 1930er-Jahre verkaufen sich Arbeiten gut, Scharl erhält Preise und Stipendien. Das wäre sein Durchbruch gewesen. Doch noch im Jahr seiner ersten internationalen Einzelausstellung, im Kunstzaal van Lier in Amsterdam, erteilt ihm die NS-Regierung ein Ausstellungsverbot.

Ausdrücklicher als beim Hitler im Caféhaus war Scharl im Grunde gar nicht geworden. Was seinen Zeitgenoss*innen noch klar war, darüber lässt sich heute streiten: wie und wo nämlich der Faschismus in Scharls Werk zum Thema wird. Der Künstler greift auf mittelalterlich-christliche Bildtraditionen zurück, ebenso wie auf abstrakte kosmische Gewalten. 1933 malt er „Brennende Sterne“: Wüst auf die Leinwand gesetzte Kreise und geschwungene Linien vor schwarzem Hintergrund. Das seltsam organisch wirkende Weltraumbild soll die Dimensionen vergegenwärtigen, in denen der Faschismus sich bewegt. Scharl spricht nicht von einem Wahlergebnis in Deutschland, sondern von einer Erschütterung der Welt.

Im gleichen Jahr entsteht „Die Bestie“: Ein Drache, der so gar nicht kosmisch wirkt, sondern wie ein eher altersschwaches Schreckgespenst aus vergangenen Zeiten, das erst in seinem Werk wieder bedrohlich wird.

Das macht es gerade interessant: Scharl geht nicht in direkte Konfrontation, agitiert nicht, ist nicht auf Linie – nicht mal auf der eigenen. Das Monster von früher und die galaktische Apokalypse von morgen sind nur zwei von vielen möglichen Erfahrungen der politischen Katastrophe. Dass Scharl sich nicht für eine entschieden hat, erscheint hier nicht als Schwäche, sondern als eine beachtliche Leistung.

Scharl weigert sich, der NSDAP beizutreten, und spätestens als Alfred Rosenbergs „Kampfbund für deutsche Kultur“ seine anti-expressionistischen Haltung gegen Goebbels durchsetzt, ist Scharl erledigt: Seine Kunst gilt von nun an als „entartet“, Scharl geht in die USA.

Der Neuanfang ist radikal, selbst seine Frau Magdalena und ihren gemeinsamen Sohn Alois lässt Scharl zurück. In überlieferten Briefen ist wenig Herzlichkeit zu spüren. Irgendwann beginnt er sogar, sie auf Englisch zu schreiben. Doch zumindest künstlerisch bleibt der Bruch trotz anfänglicher Erfolge nur ein Versuch.

Scharl geht nicht in direkte Konfrontation, agitiert nicht, ist nicht auf Linie – nicht mal auf der eigenen

Die Ausstellung zeigt nur wenig aus dem auch sonst weitgehend unbeachteten Spätwerk Scharls. Seine Landschaften werden malerischer: unwirkliche Farbflächen, die dennoch eine schwer zu begreifende Tiefe aufweisen. Zwar sind das beeindruckende Bilder, doch wo Scharl wieder zur Gesellschaft arbeiten will, gelangt er nicht mehr zur alten Ausdruckskraft. Zwei tote Soldaten hängen da an der Wand, einer von 1932, der andere von 1953. Als wäre es nur noch Spiel, verlieren sich Schmerz, Entmenschlichung und – ja – das Grauen in rein ornamentalen Flächen.

Ob Scharls eigenes Erleben des Ersten Weltkriegs schlicht weggealtert ist oder ob die neue Sicherheit der USA ihm die Schärfe genommen ist, lässt sich nicht sagen. Und es spielt ja auch keine Rolle. Aber etwas anderes macht der Kontrast in dieser biografisch kuratierten Ausstellung dann doch erfahrbar: Diese Momente – historische und persönliche –, die irgendwie dazwischen liegen. Wo unter den Zuckungen des gerade Vergehenden und dem Aufbäumen des Kommenden enorme Kräfte spürbar werden, die es weder vorher noch hinterher gibt.

Natürlich ist es tragisch, dass der Künstler groß nur da ist, wo er Repression erleidet, wo es erst um seinen Ruf und ein paar von den Nazis beschmierte Bilder geht – und dann um den Krieg und die millionenfache Vernichtung menschlichen Lebens.

In seiner Totenrede für Scharl sagte Albert Einstein, der Künstler habe „durch die Abgründe dieser Menschenwelt gesehen“. Er habe darunter gelitten, „aber nichts vermochte ihn dauerhaft niederzudrücken“. Und auch wenn Einstein das so nicht gemeint hat, liegt darin doch ein letzter beruhigender Verdacht aus der Welt jenseits der Kunst: dass es Josef Scharl wohl besser ging in den Zeiten, als seinen Arbeiten die Puste ausging.

Bis 21. 10., Barlach-Haus, Hamburg

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