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Und ewig lockt das alte Bild

Mit „What is Love? Von Amor bis Tinder“ will die Bremer Kunsthalle junge Menschen ins Museum holen. Das dürfte klappen, aber die Ausstellung bleibt hinter ihren Möglichkeiten

Von Jan-Paul Koopmann

Wie viel nackte Haut in der Sammlung der Bremer Kunsthalle an den Wänden hängt? Keine Ahnung. Zu viel jedenfalls, um der neuen Ausstellung, „What is Love? Von Amor bis Tinder“ ein „Sex sells“ entgegenzufauchen. Doch obwohl Liebe, Sex und Zärtlichkeit zu den wohl wichtigsten Themen der Kunstgeschichte zählen, geht es hier schon darum, etwas Neues zu verkaufen: Mit zeitgenössischen Arbeiten zum Onlinedating möchte man junge Menschen ins Museum locken und mit der Ausstellung vor allem Lust machen auf die Sammlung drumherum.

Die bespielt auch den größten Teil dieser Schau: Rund 40 Werke quer durch die Epochen bezeugen mal mehr, mal weniger abgeschlossene Versuche, sich mit dem Liebesglück ausein­anderzusetzen, mit ihren Anfängen im Mythos, der Selbstliebe, Erotik und der Schönheit. Ebenfalls auf diese Abschnitte verteilt hängen dann Arbeiten von fünf zeitgenössischen Künstler*innen: die Tinder-Kunstwerke.

Die Chancen stehen gut, dass jemand anbeißt. Immerhin ist Tinder tatsächlich so ein Phänomen, über das zwar heute jede*r alles weiß – das aber erstaunlicherweise trotzdem noch einen Nimbus des Geheimnisvollen vor sich herträgt. Es ist ja auch aufregend: die Liebe aus dem Handy. Dann noch mit hippen Arbeiten, die im Lifestyle-Magazin Vice zu sehen waren – eine hat sogar einen echten Skandal ausgelöst. Naja, und überhaupt: die Liebe!

Jenseits der Kunst ist die Debatte längst gelaufen. Die „Digital Natives“ kennen’s ja gar nicht mehr anders und die meisten von ihnen mussten inzwischen selbst ihren geschiedenen Eltern beim Onlinedating über die Schulter gucken. Draußen vor der Ausstellung haben Besucher*innen Zettelchen hinterlassen zur Frage, ob Tinder die Liebe verändert habe? „Nein“, sagen dann auch gleich mehrere, „Partnerschaft ist anders, aber Liebe nicht“. Und das wäre dann auch eine drängende Frage für die Ausstellung: Stimmt das, nur weil es schön klingt? Und was soll denn diese Konstante sein, diese romantische?

Eine Antwort hat die Ausstellung darauf nicht, wohl aber ein paar interessante Gedanken, die das Ganze hübsch komplizierter machen. Und die meisten davon formulieren erstaunlicherweise nicht die zeitgenössischen Leihgaben, sondern die Schinken aus der Sammlung. Da hängt zum Beispiel einer von Edvard Munchs Küssen – nicht der wahnsinnig berühmte „Kuss“ in Öl, sondern die nur recht berühmte Radierung gleichen Namens.

Blass auf Tinder

Und wenn man da so steht und sieht, wie die Knutschenden in Hingabe zum anderen Menschen verschmelzen, während sich ihre individuellen Züge, ihre Menschlichkeit, gerade darüber auflösen … Tja, dann bekommt man eine Idee von der Ambivalenz – von Freud und Leid und überhaupt. Aus dieser Zwickmühle kommen Sie auch mehr als 120 Jahren später nicht so einfach heraus. So viel zu den Meisterwerken, die sich in hundertfach gewürdigter Treffsicherheit durch Mythos, Christentum und frühe Bürgerlichkeit schmachten.

Tully Arnots Tinder-Arbeit sieht dagegen einigermaßen blass aus: Der australische Künstler hat einen Zeigefinger aus Kunststoff gebaut, der automatisiert auf einem Smartphonedisplay herumtippt und auf Tinder bei allen Frauen aufs Herzchen klickt. Würde ernsthaft jemand glauben, es gäbe keine Creeps auf Tinder, die auf der Suche nach möglichst vielen Matches zu allen „ja“ sagen – dann wäre so jemand wirklich schockiert.

Spannender ist aber doch, dass diese soziale Technologie trotzdem funktioniert. Obwohl alle wissen, wie viele von diesen Gummifingern da draußen unterwegs sind. Außerdem steht das Werk letztlich doch auch für ein eher desinteressiert-konservatives Modell. Ist das Bild des seelenlos suchenden Automaten nicht doch nur ein romantisches Vorurteil, das gleich am Einlass ablegen müsste, wer hier wirklich etwas verstehen will?

Seit das „Tindern“ in die Gesellschaft und sogar den Duden eingesickert ist, nimmt es längst Anteil an der Normierung, die zu Unrecht nur der staatlich sanktionierten Ehe unterstellt wird. Selbst der sogenannte „Islamische Staat“ hat seine Reihen über digitale Ehestiftung gefüllt: Sicherheitsbehörden zerbrechen sich bis heute die Köpfe über Datingplattformen wie „Jihad Matchmaker“.

Mit Recht ließe sich auch fragen, ob die queere und polyamore Szene nicht den substanzielleren Übergriff auf die romantische heterosexuelle Zweierbeziehung unternommen hat, als es ihre Digitalisierung getan hätte. Es dürfte auch an der Schnelllebigkeit der Entwicklung liegen, dass selbst wenige Jahre alte Arbeiten plötzlich hinterherhängen.

Die Kunst täte gut daran, sich noch ein paar Jahrhunderte die Zähne an der Liebe selbst auszubeißen, bevor sie versucht, ihre Transformation zu verstehen

Im Kleinen haben allerdings auch die zeitgenössischen Arbeiten dieser Ausstellung durchaus etwas zu sagen. Eylül Aslan etwa hat mit ihrem Buchprojekt „Trompe L’Oeil“ zur Sprache gebracht, was wohl alle Tinder-Nutzer*innen umtreibt: Was es nämlich bedeutet, sich so ausdrücklich dem schnellen Urteil von Fremden auszusetzen. Aslan hat ihre Dates gefragt, welche ihrer Körperteile dem Gegenüber gefallen und welche nicht und eine Fotoserie daraus gemacht. Marktförmiges Miteinander hat Tinder natürlich nicht erschaffen, aber doch in neuer Quantität sichtbar macht – und das ist tatsächlich ein Gewinn für das Ausstellungskapitel zur Schönheit.

Miteinander marktförmig

Ähnlich auch der eingangs versprochene Skandal: Dries Verhoevens vor ein paar Jahren viel beachtete Performance „Wanna play? (Love in the time of Grindr)“ über die schwule Dating-App Grindr. Seine Dates fanden in einem Glaskasten statt, Chats und Profilfotos der Ahnungslosen waren anfangs unverfremdet auf einer LED-Wand mitzuverfolgen. Das Projekt wurde abgebrochen, von „Zwangsoutings“ war die Rede sowie von massiven Verletzungen der Persönlichkeitsrechte der Grindr-Nutzer. Um die Öffentlichkeit ging es auch Verhoeven: Dating-Apps, so sein Empfinden, hätten eine fragwürdige Privatheit geschaffen, die gerade die Schwulen-Szene erst mühsam überwunden hatte. Nun sitzt man zu Hause am Handy und hält die Klappe.

Das sind Fragen, die weit mehr zu bieten hätten als nur einen populären Köder abzugeben für ein Kunstmuseum mit Nachwuchssorgen. Wenn sie sich nur einließen auf die Arbeiten drumherum. Und das gelingt „What is Love?“ nur in Ansätzen. Angesichts der klassischen Schwergewichte drängt sich ein Gedanke auf: Die Kunst täte gut daran, sich noch ein paar Jahrhunderte die Zähne an der Liebe selbst auszubeißen, bevor sie versucht, ihre Transformation zu verstehen.

Denn so interessant die Arbeiten im Einzelnen auch sind: Unterm Strich kommen weder die Meisterschaft der alten noch die Provokationen der neuen zu ihrem Recht.

Bis 21. 10., Kunsthalle Bremen

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