: England ist bei der WM raus – und das ist ein Segen
Endlich ist Schluss mit den immer gleichen Geschichten über das „Mutterland des Fußballs“. Denn so gut hat die Mannschaft bei diesem Turnier nun doch nicht gespielt
Aus Moskau Andreas Rüttenauer
Das war es also dann für England. Wieder ist es nichts geworden mit dem Einzug in ein großes Finale. England ist raus. Kroatien ist im Finale. Am Ende haben die Mannen um Luka Modrićdas junge Team aus England regelrecht an die Wand genagelt.
Es ist ein Segen. Endlich müssen wir nicht mehr die immer gleichen Geschichten über die große Sehnsucht der Engländer nach dem ersten Titel seit 1966 wiederkäuen. Endlich können wir über Fußball sprechen und müssen nicht mehr küchenpsychologisch darüber daherschwafeln, wie es möglich werden konnte, dass auch Engländer ein WM-Elfmeterschießen gewinnen können. Endlich müssen wir den Ausdruck „Mutterland des Fußballs“ nicht mehr hören. Endlich ist England raus.
Es ist erstaunlich, wie die Welt mit dem englischen Fußball umgeht. Bei jedem Turnier ist das ähnlich. Kaum eine Mannschaft wird von der internationalen Presse so intensiv bearbeitet wie das englische Team. Die Wunschvorstellung der englischen Boulevardschreiber vom Fußball, der nach Hause kehrt, hat uns in diesem Jahr einen Ohrwurm beschert, lange bevor wir den 1996 für die Heim-EM in England komponierten Song „Football’s coming home“ bei der WM das erste Mal wieder gehört haben.
Und auch nach der Niederlage gegen Kroatien werden wir mit Bildern aus der englischen Fankurve regelrecht zugeschissen. Dass die 7.000 Engländer, die im Moskauer Luschniki-Stadion waren, ihre Mannschaft nach der Niederlage immer noch angeschmachtet und diese wahrlich schwer zu ertragende Oasis-Schnulze „Don’t Look Back in Anger“ angestimmt haben, ist gewiss eine nette Anekdote. Mehr aber auch nicht.
Aber schon wird sie allüberall erzählt, die Geschichte vom jungen englischen Team, das sich in Russland aufgemacht hat, die Fußballwelt zu erobern. Das dieses Mal vielleicht noch gescheitert ist, an dem aber 2022 kein Weg mehr vorbeiführen wird. Das auf dem Weg ist, sein Turniertrauma (Achtung! Küchenpsychologie!) endlich zu überwinden. Zu dem, was das englische Team abgeliefert hat bei der WM in Russland, passen diese Geschichten nicht so recht.
Ja, es ist aller Ehren wert, mit dieser Mannschaft, in deren Mittelfeld kein Kicker spielt, der wirklich das Spiel machen kann, ins Halbfinale einer WM vorzustoßen. Es ist das Verdienst von Trainer Gareth Southgate, dass er aus einer Truppe leidlich begabter Fußballspieler eine funktionierende Mannschaft gebaut hat. Aber wer gesehen hat, wie schwer sich die Engländer immer wieder getan haben, einen Angriff zu Ende zu spielen, müsste um die Bedingtheiten in dieser Mannschaft eigentlich wissen.
Neun der zwölf englischen Tore sind durch Elfmeter oder nach Standardsituationen gefallen. Auch das sagt viel. Als alle Welt den neuen englischen Fußball begonnen hat zu feiern, hätten wir beinahe übersehen, dass England den Fußballsport beinahe schon wie ein Hockeyspiel inszeniert hat. Da fallen die Tore schon lange vor allem nach Strafecken. Die englische Sportpresse hat in ihrer Besoffenheit über das eigene Team die halbe Welt in ihren Rausch hineingezogen. Am Ende waren viel zu viele Menschen infiziert von diesem Englandvirus.
Der kroatische Kapitän Luka Modrić– ein Fußballer wie ihn die Engländer sicher auch gerne hätten – war nach dem Einzug ins Finale ein wenig angesäuert über die geringe Wertschätzung, die seinem Team vor dem Spiel entgegengebracht worden war.
Das habe die Kroaten sogar umso mehr motiviert, sagte er. „Englische Journalisten und TV-Experten plaudern gerne. Sie haben die kroatische Mannschaft total unterschätzt. Da haben sie einen Fehler gemacht. Wir haben eine Reaktion auf diese Worte gezeigt. Sie sollten sich bescheidener verhalten und dem Gegner mehr Respekt zeigen.“
Recht hat er. Und wir sollten jetzt erst einmal nicht mehr über das – sorry! – Mutterland des Fußballs reden. England war gar nicht so gut bei dieser WM. Kroatien schon.
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