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Brasiliens Abschied

Neymar und Co. boten gegen Belgien vorzüglichen Fußball – und schieden doch gegen ein noch besseres Team aus. Bestimmt kommen sie wieder, irgendwann

Neymar, einer der besten Spieler der WM: auch an sich gescheitert Foto: Alexey Nasyrov/reuters

Aus Kasan Andreas Rüttenauer

Es gibt sie also auch bei dieser Weltmeisterschaft, diese Spiele, die einen in einen wahren Vollrausch versetzen. Das Viertelfinale zwischen Belgien und Brasilien war eine jener Partien, die in der Lage sind, die Zuschauer in einen anderen Bewusstseinszustand zu versetzen. Es sind dies die Spiele, die süchtig machen nach diesem Sport. Es war ein Spiel, das so schöne Momente hatte, dass man gewünscht hätte, es wäre nicht nach 90 Minuten schon abgepfiffen worden.

Es hatte so klare Momente, die gezeigt haben, dass Fußball dann sehr faszinierend sein kann, wenn schnell und direkt nach vorne gespielt wird. Es hatte dramatische Szenen, über die man noch lange diskutieren wird. Und es hatte einen Sieger, der gewöhnlich nicht gewinnt gegen Brasilien. In all seiner Niedergeschlagenheit brachte es Brasiliens Trainer Tite auf den Punkt: „Wer Fußball liebt, muss seinen Spaß an diesem Spiel gehabt haben. Was für ein Spiel!“

Auf den Vollrausch folgte der Kater. Eine der zwei irren Mannschaften war ausgeschieden. Das ist natürlich für diese Mannschaft, ihren Trainer und die Fans besonders traurig. Mit Brasilien musste sich die spielstärkste Truppe des Turniers nach Hause verabschieden. Man hätte sie gerne weiterspielen sehen. So schön das Spiel war, so brutal ist die Erkenntnis, dass diese WM ein Stück von ihrem Glanz verloren hat.

Zu diesem hat, ja, auch das muss gesagt werden, auch ein gewisser Neymar beigetragen. Er hat auch in diesem letzten Spiel der Brasilianer bei dieser WM wieder gezeigt, was er kann – aber auch, was er besser bleiben lassen sollte.

Es gibt diese Momente in seinem Spiel, denen sich niemand entziehen kann. Wenn er anfängt, nicht nur sich, sondern auch seine Mitspieler in Szene zu setzen, dann sieht man, dass er besser kicken kann als die meisten anderen, die bei einem solchen Turnier auf den Platz geschickt werden. Wenn er dann aber wieder mal abhebt, weil er im Strafraum einen ­Grashalm für ein gegnerisches Bein hält, dann möchte man ihn am ­liebsten nie mehr spielen sehen.

Ganz ausgewechselt wird er gewiss nicht, wenn eine neue brasilianische Nationalmannschaft aufgebaut wird. Wer immer das tun wird, er sollte sie nicht um Neymar herum aufbauen. Ob man Neymar wirklich in eine Teamgefüge einbauen kann, das wird sich zeigen.

Wer sich um den Neuaufbau kümmern wird, weiß man noch nicht. Coach Tite war zu niedergeschlagen nach dem Spiel gegen Belgien, als dass er sich zu seiner Zukunft als Headcoach hätte äußern können. Zwei Jahre hat er die Mannschaft trainiert. Hätte er mehr aus dem Team herausgeholt, wenn er einen Vierjahreszyklus dafür zur Verfügung gehabt hätte? Im Brasilien glauben das viele und wünschen sich, dass er weitermacht.

Ein neuer Trainer wird schnell feststellen, dass es immer noch nicht genug erstklassige Spieler gibt, die in das Team drängen. Das hat sich in den vergangenen vier Jahren nicht geändert. Sich die besten Brasilianer auf dem globalen Fußballmarkt einzusammeln und daraus eine Mannschaft zu stricken, ist so einfach nicht. Vielleicht ist es an der Zeit, einen Umbruch einzuläuten, wie ihn die Deutschen vor der WM 2006 angeschoben haben.

Da wurden Spieler, die noch nicht die ganz großen Helden waren, über die Nationalmannschaft zu Spitzenspielern geformt. Dass Tite mit Renato Augusto einen in den WM-Kader berufen hat, der in China schon im fußballerischen Vorruhestand lebt, zeigt, wie nötig das ist.

Weil es mit Philippe Coutinho einen Mittelfeldstrategen gibt, dessen Auge für Mitspieler seinesgleichen sucht, wird es keinen totalen Bruch geben, auch wenn erfahrene Spieler wie Marcelo, Real Madrids Dauerläufer auf außen, vielleicht nicht mehr allzu lange mitspielen werden.

Man wird wieder hören von Brasilien. Später. Irgendwann. Jetzt ist das Team weg vom Fenster. Belgien ist die Mannschaft der Stunde. Zu Recht.

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