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In Helene Weigels Dienstwagen

Gedanken über Mensch und Maschine – auf der Rückbank eines Oldtimers: Olaf Nicolais „Brecht in der Auto-Werkstatt“

Von Katja Kollmann

Pappelallee 24. Kopfsteinpflaster im Hinterhof. Ein ockergelbes Backsteingebäude mit Fassaden-Inschriften aus längst vergangenen Epochen, z.B. „Dynamos, Reparaturen, Ersatzteile – Elektromotor Königstadt“. Daneben ein großes Fenster mit alter Rahmung und dahinter eine Kfz-Werkstatt. Dort steht ein dunkelroter Mercedes-Benz Ponton, Baujahr 1959.

Das ist der Schauplatz von Olaf Nicolais „Brecht in der Auto-Werkstatt“, einer Kooperation des Berliner Ensembles mit den KW Institut of Contemporary Art. Der bildende Künstler Olaf Nicolai und die Herbert-Fritsch-Dramaturgin Sabrina Zwach haben den Dienstwagen von BE-Intendantin Helene Weigel wiederentdeckt und gekauft. Vom 29.6. bis zum 1.7. war er in der Kfz-Werkstatt von F. Kindel im Prenzlauer Berg die Hauptattraktion einer theatralen Intervention. Nicolai platziert den Oldtimer zentral in der Mitte des Raumes, davor stehen ein Tisch und Stühle auf einem Podest, in der Ecke ist eine kleine Musikbühne. Zwach arbeitet sich mit dem Dramaturgieassistenten und den SchauspielerInnen durch das frühe Brecht-Stück „Mann ist Mann“. Ein Schlüsselsatz dieser Parabel wird zum Motto dieser Inszenierung: „Hier wird heute Abend ein Mensch wie ein Auto ummontiert, ohne dass er irgendetwas dabei verliert.“

Brecht trifft „Hair“

Susanne Jansen singt zuerst das Lied „Aquarius“ aus dem Musical Hair, rezitiert danach Textpassagen der Kantinenbesitzerin Leokadja Begbick aus „Mann ist Mann“ und führt später im Ponton mit dem bekennenden Cyborg Enno Park ein Interview über Mensch, Maschine und die Möglichkeit, beides gleichzeitig zu sein. Matthias Buss spielt den Packer Galy Gay, der zum Soldaten gemacht wird, virtuos vom Blatt und versorgt außerdem das Publikum mit den wichtigsten Eckdaten über diesen Autotyp. Auch er singt – „Mercedes Benz“ von Janis Joplin. Versteckt hinter einer Säule sitzt der Theaterkritiker Thomas Irmer als Werkstattchronist und liefert wertvolle zeithistorische Informationen zu den Jahren 1967-1971, in denen das Auto von Helene Weigel als Dienstfahrzeug genutzt worden ist.

Zehn „Brecht in der Auto­werkstatt“-Schichten finden statt, die jeweils eine Stunde dauern und aufeinander aufbauen. Insgesamt bittet man auf der versifften Rückbank vier Gäste zum Interview. Neben Enno Park unter anderem den Schauspieler Christian Dieterle, der zurzeit am hessischen Landestheater Marburg in einer Inszenierung von Michail Bul­gakows Erzählung „Das hündische Herz“ Professor Preobraschenski verkörpert. Einen Wissenschaftler, dessen Versuch, einen neuen sowjetischen Menschen zu erschaffen, in der Existenz eines moral- und wertefreien „Hundemenschen“ negativ kulminiert.

Es ist eine theatrale Anordnung, die den Protagonisten einen groben Fahrplan an die Hand gibt und sonst Platz lässt für Improvisation. Dem Zuschauer werden Denk-Angebote gemacht. Das Hirn macht große Sprünge in dieser kurzweiligen Stunde. Die Sprache des jungen Brecht trägt einen in die 20er Jahre und zu der Vorstellung von Männlichkeit damals.

Thomas Irmers Information, dass Helene Weigel mit dem Auto, das zwei Meter entfernt vor einem steht, jederzeit nach West-Berlin fahren konnte und in Ost-Berlin Aufsehen erregte, ist ein aufschlussreiches Detailbild aus dem Kalten Krieg. Enno Park, der Cyborg mit den Cochlea-Implantaten im Ohr, erzählt von dem Einbruch der Zukunft in die Gegenwart.

Sein Ideal als Cyborg ist die Einheit von Körper und Technik. Er kann in den Implantaten verschiedene Programme einstellen und hört oft besser als jemand mit exzellentem natürlichen Gehör. Im Finger hat er einen Chip. Es wäre möglich, sagt er im Ponton, dass man bald keinen Autoschlüssel mehr braucht, denn dann öffnet die Hand mit dem integrierten Chip automatisch die Fahrertür. Leichtigkeit durchzieht diese unperfekte Melange aus Werkstatt-Inszenierung und „Experten des Alltags“. Wie von selbst wird die ambivalente Beziehung zwischen Mensch und Maschine erfahrbar. Dann tritt man hinaus in einen der letzten unsanierten Hinterhöfe dieser Stadt und nimmt die Denkanstöße aus der theatral überformten Kfz-Werkstatt gerne mit.

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