: Wehmutstropfen für den Wanderzirkus
Ein routiniert agierender David Byrne spielte am Mittwoch im ausverkauften Tempodrom: Evergreens der Talking Heads und neue Solostücke standen auf dem Programm
Von René Hamann
„Signs, signs are lost / Signs disappeared / Turn invisible / Got no sign / Somebody got busted / Got a face of stone and a / Ghostwritten biography“
Talking Heads: „Naked“
Es begann als vorgetäuschte Wasserglaslesung: ein Stuhl, ein Schreibtisch, darauf ein Plastikhirn – und ansonsten blieb die Bühne leer. Dann ward es Licht, und ein einsamer alter Mann wurde begleitet von Musik und einer Schar von Leuten. Der New Yorker David Byrne, 66 Jahre alt, Ex-Talking-Head, hatte schon immer ein Händchen für Choreografie und Dramatik. Und so mutete sein stürmisch gefeiertes Konzert am Mittwochabend im ausverkauften Tempodrom auch an wie ein durchkomponiertes Theaterstück, wie eine Pop-Oper ohne großen Bombast, wie ein angenehm unperfektes Musical ohne Kitsch.
Byrne hatte einen musikalischen Wanderzirkus mitgebracht. Eine elfköpfige Band, – die Instrumente meist umgehängt und kabellos, viele Trommeln und Perkussionsinstrumente – führte eine gut eineinhalbstündige Performance auf mit vielen neuen und vielen alten Stücken. Die Mischung stimmte, das Bild war kohärent: David Byrne, der alte Meister der stadtneurotischen Popmusik, setzte statt auf Eitelkeit lieber aufs Kollektiv, und er tat gut daran, nicht nur, weil er so ein gängiges Bandkonzept und Sitzkonzert vermeiden konnte, sondern sich selbst als gut in Schuss präsentierte und überhaupt ständig auf Trab war. Barfüßig, weißmähnig, wie seine schnurlose Band im grauen Zweiteiler: hyperaktiv.
Ein Wanderzirkus, der eine weltumarmende Fiesta schmiss. Musikalisch fand das Ganze am Schluss zum symbolischen Bühnenbild, als die Vorhänge im Hintergrund die Anmutung von sichtschützenden Bambusmatten bekamen. David Byrne hatte zusammen mit Brian Eno und den Talking Heads früh das Sampling für sich entdeckt. „My Life in the Bush of Ghosts“ (1981) von Byrne/Eno gilt als Meisterwerk, das im Grunde eine psychedelisch anmutende Erweiterung des nervösen Funk war, den Byrne mit den Talking Heads nach ihrer Postpunk-Phase gespielt hatte.
Das war es allerdings auch, was diesem tropisch anmutenden Mittwochabend auch einen kleinen Wermutstropfen gab: Es war Wanderzirkus und Fiesta; das nervös Urbane, das stets auch Irre, Schiefe, Randständige der Talking Heads ging im Geklöppel der zwölf Musiker unter. Das waren die wenigen Momente, in denen man seine alte Band vermisste: eine stoisch vor sich hin hüpfende Tina Weymouth am Bass. Ein schelmisch ins Publikum grinsender Jerry Harrison. Und Chris Frantz am Schlagzeug. Ein Wehmutstropfen, denn die Feier der Zwölf mit dem altersmilden Byrne im Zentrum hatte etwas, das auch außermusikalisch den Anschluss an die Gegenwart suchte und fand, besonders in der Zugabe, bei der mit dem Janelle-Monáe-Stück „Hell You Talmbout“ an den Women’s March in Washington und die Rechte der Frauen gemahnt wurde. Tatsächlich passten alte Talking-Heads-Gassenhauer wie „Once in a Lifetime“ und „Burning Down the House“, selten gespielte Klassiker wie „Born Under Punches“ oder das vermutlich überhaupt nie mit den Talking Heads live gespielte „Blind“ sehr gut mit den Stücken der späten Solophase zusammen.
Sehnsuchtsort Zuhause
Im Mittelteil der Show verfolgte Byrne ein anderes Konzept: Die Heimat, das Zuhause als Sehnsuchtsort blitzten nun konstant in den Texten auf. „Home is where I want to be.“ Das war sowohl witzig als auch berührend und konterkarierte das musikalisch Weltoffene, betonte gleichzeitig das Recht aller auf einen selbst gewählten Platz in der Welt. David Byrne besitzt übrigens erst seit 2016 die US-Staatsbürgerschaft. Geboren wurde er im Mai 1952 in Schottland. Eine Hausparty auf Wanderschaft. Ein elder statesman, von Natur aus linksliberal, der wie gesagt frei von Eitelkeit noch einmal die Welt bereist, um einerseits von Glanz und Elend der US-Vorstädte zu erzählen und andererseits alle in diese Welt hineinzulassen. Das war die Erzählung, die der rüstige Mann vor dem begeisterten, im Durchschnitt vielleicht um 20 Jahre jüngeren Publikum am Mittwoch im Tempodrom lieferte. Die sanfte, leicht esoterische Radiomusik der späten Jahre, wie sie beispielsweise Bryan Ferry spielte, der vor eineinhalb Jahren am selben Ort gastierte, bediente Byrne nie. Für ganz junge Ohren, die hier nach der Neurasthenie und Weltfremde der Postpunk-Talking-Heads suchten (alte Alben dieser Band sind in den Second-Hand-Plattenläden dieser Stadt seit mehr als zehn Jahren wieder sehr gut gehende Ware), war das vielleicht ein großes Missverständnis. Alle anderen aber hatten eine sehr gute Zeit.
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