piwik no script img

Wenn Taten Worte folgen

Eine Gruppenausstellung im Kunstverein Braunschweig widmet sich der Frage, wie Sprache sich eigentlich körperlich und materiell manifestiert

Von Bettina Maria Brosowsky

Warum reden wir leiser, verhalten uns ganz ruhig, sobald wir auf einer Kirchenbank Platz nehmen? Welche appellative Aura hemmt oder enthemmt uns auf dieser spießigen Eckbank, wie sie in manch deutscher Küche steht? Die US-amerikanische Künstlerin Adrian Williams, 1979 in Portland geboren und seit fast 20 Jahren in Frankfurt am Main lebend, geht in ihren Arrangements typisch europäischer oder deutscher Möbel den Bedingungen menschlicher Kommunikation und ihren (Sitz-)Grundlagen nach. Sie zeigt Möbel als isolierte Objekte, um auf die psychologischen, sozialen oder emotionalen Aspekte des Sitzens zu verweisen: ein Sich-Niederlassen also nicht nur als physiognomische, sondern auch als interaktive Geste.

Mit einem Stuhlkreis, diesem schon mal als „totalitäres Herrschaftsinstrument der Pädagogik“ verlästerten Setting, führt Williams bereits im Hof des Braunschweiger Kunstvereins bildhaft in die aktuelle Sommerausstellung mit neun Teilnehmern ein: es geht um sprach- und performancebasierte Formen der aktuellen Kunstproduktion.

Kunstvereinsdirektorin Jule Hillgärtner macht hier eine gegenläufige Tendenz zur digitalen Jetztzeit in virtuellen Welten fest. Das reale Erlebnis, also die Präsenz am Ort des Geschehens, lässt derzeit die Performance aus den 1970er-Jahren eine Renaissance und neue Blüte erleben. Prominentes Beispiel: die fünfstündige, düstere Performance „Faust“ von Anne Imhof im deutschen Pavillon, sie bekam einen „Goldenen Löwen“ als bester Nationenbeitrag der letztjährigen Venedig-Biennale.

Hillgärtner knüpft zudem an ihre Ausstellung Process, Performance, Presence“ vom Sommer 2016 an, die flüchtige und partizipative Aspekte thematisierte. Spielten damals schon wechselseitige Prozesse wie Erwartungen, Enttäuschungen oder Manipulationen eine Rolle, so sind sie jetzt zentraler Betrachtungsgegenstand. Ganz unmissverständlich führt einmal der Niederländer Feiko Beckers in seinen Video-Performances vor, was passieren kann, wenn zwei Menschen miteinander reden. Er zwängt sich und seinen Gesprächspartner in starre Kostüme wie aus dem russischen Konstruktivismus. Eigentlich wollte diese revolutionäre Kunstrichtung mit dynamischen Konzepten Ballett, Theater, ja: die ganze Gesellschaft aufmischen. Beckers Kontrahenten jedoch sind in ihrer Beweglichkeit auf mechanische Minimalregungen reduziert, auch ihre Konversation mündet schnell in fundamentaler Verweigerung. Will etwa der eine einen Tipp für die beste Pizza in Paris, mag der andere keine Empfehlung geben, da erst kürzlich ein Freund darüber sehr enttäuscht war. Er möchte einfach nicht mehr das Risiko eingehen, seine Erfahrungen zu teilen.

Teilhaben, selbst an intimen Gefühlen, lässt einen der Luxemburger Mike Bourscheid, er kann offenbar das Glück seiner vor zwei Jahren geschlossenen Ehe noch immer nicht recht fassen. Die Operettenschnulze „So stell’ich mir die Liebe vor“, im Original von Zarah Leander, im 1960er-Jahre-Remake von Peter Alexander intoniert, dient als Ausgang für die musikalische Performance eines Prinzenpaares in fantasievollen Kostümobjekten, die Geschlechterstereotype in Frage stellen will. Männlein wie Weiblein tragen barockes Altrosa, dazu skulpturenhafte Köpfe, prothesenartige Gliedmaßen und, dem Genre verpflichtet, bühnenreifen Glitzer- und Fransenschmuck. Nebenbei wird noch eine Platte mit zwei Songs produziert, Direktschnitt in Vinyl, was will man mehr.

Ebenfalls 2016, allerdings in der Kestner Gesellschaft Hannover, hatte der Däne Christian Falsnaes schon einmal sein Studio aufgebaut, in dem der täglich erste Besucher sich nach genauem Ritual für 15 Minuten vor der Kamera produzieren kann. Ihm wird der fragwürdige Ruhm als Video-Star des Tages zuteil, bis das Schicksal am nächsten Morgen den nächsten trifft. Tröstlichen Beistand spenden da vielleicht die zehn feinen Drucke der Britin Hanne Lippard, die verteilt über alle Ausstellungsräume typische Verlegenheitsäußerungen wie Räuspern, Hüsteln oder ein lang seufzendes „Ähääämm“ textlich dokumentieren.

Ausstellung „Doing Things With Words“: bis 19. 8., Kunstverein Braunschweig, Lessingplatz12, Braunschweig

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen