: „Namen streichen, die uns mit Faschismus identifizieren“
In Madrid wollen Eltern und Lehrer elf Schulen umbenennen, die an die Franco-Diktatur erinnern. Mitinitiator José Luis Gordo über Erinnerungskultur in Spanien und Schwächen des Bildungssystems
Interview Reiner Wandler
taz: Herr Gordo, Sie sind nicht mit den Namen einverstanden, den elf Madrider Schulen während der Franco-Zeit verpasst bekommen haben. Warum wollen Sie, dass sie geändert werden?
José Luis Gordo: Weil das demokratisch ist. Die Namen wurden damals ja nicht in einem demokratischen Prozess geändert, sondern von einer Diktatur, um Persönlichkeiten aus der „glorreichen nationalen Erhebung“ zu ehren. Was damals geschah, war ein Staatsstreich mit anschließendem Bürgerkrieg. Deshalb dürfen diese Namen nicht weiterhin benutzt werden. Und deshalb verlangen wir nicht einen neuen Namen, sondern die Namen, mit denen die Schulen einst in der Republik eingeweiht wurden.
Ist der Name denn wirklich so wichtig?
Wir geben Namen, um die Dinge zu unterscheiden. Und der Name einer Schule prägt ganze Generationen. Der ganze Stadtteil identifiziert sich mit seiner Schule. Und die Eltern und Schüler interessieren sich sehr wohl, wer der Namensgeber ihrer Schule ist. Darum ist es so wichtig, die Namen zu streichen, die uns mit dem Faschismus identifizieren.
Mit Ihrem Kampf sind Sie nicht allein. Auch bei Straßennamen, Statuen und dergleichen gibt es in Spanien Gruppen, die die Erinnerung aus der Zeit vor Franco zurückzugewinnen wollen.
Unsere Forderungen gehen über die Namen der elf Schulen aus der Republik hinaus. Wir haben uns auch dafür eingesetzt, dass bei der Änderung der Straßennamen in Madrid Lehrer und Lehrerinnen aus der Zeit der Republik geehrt werden. Insgesamt wurden 49 Straßen umbenannt. Drei davon bekamen den Namen einer Lehrerin oder eines Lehrers aus jener Zeit. Bisher waren sie alle nach franquistischen Generälen benannt.
Warum sollte man sich an das Schulsystem der Republik erinnern?
Die Bildung war eines der wichtigsten Aspekte der Reformen in der Republik. Die allgemeine Schulpflicht wurde eingeführt. Der Schulbesuch war kostenlos. Allein in Madrid wurden zwischen 1931 und 1936 22 neue Schulen eingeweiht. Insgesamt gab es in Madrid 83 öffentliche Schulen. Jungs und Mädchen wurden gemeinsam eingeschult. Die Religion wurde aus der Schule verbannt. Der Unterricht wurde wissenschaftlicher. Die Schulen bekamen neue Einrichtungen, das Modernste, was es zu jener gab. Die Ausbildung der Lehrer wurde verbessert. Lehramt wurde zum Studienfach an der Universität. Und die Lehrer bekamen ein Mitspracherecht. Keine wichtigen Veränderungen konnten ohne die Zustimmung der Lehrer umgesetzt werden.
Was passierte, als Franco an die Macht kam?
Nach dem Bürgerkrieg wurden die Schulen von den siegreichen Faschisten völlig umstrukturiert. Sie wurden an religiöse, ultrakatholische Institutionen gegeben. Es ging nicht mehr um freie Bildung, sondern darum, die Schüler zu indoktrinieren. Viele der Lehrer wurden in einem Schnellstudiengang in drei, vier Monaten ausgebildet. Viele waren ehemalige Soldaten aufseiten der Putschisten. Die Lehrer der Republik wurden verfolgt. Jeder vierte konnte nicht weiter unterrichten. Viele wurden zu Gefängnis verurteilt, andere standrechtlich erschossen. Schätzungen gehen von 60.000 ermordeten Lehrern aus. Die Treue zur demokratischen Ordnung der Republik wurde ihnen als „Unterstützung einer Rebellion“ ausgelegt.
Was kann das heutige Bildungssystem aus der Geschichte lernen?
Das heutige Schulsystem ist nicht besser als das damalige, ganz im Gegenteil. Das Modell der ständigen Erneuerung, der ständigen Modernisierung der pädagogischen Ansätze, der soziale Anspruch, die Gesellschaft zu demokratisieren und zu verändern, wäre selbst heute noch revolutionär. Heute reden wir ständig von Erneuerung im Bildungssystem. Doch geht es dabei meist nur um Technologie und nicht um die pädagogischen Grundlagen.
Zu Zeiten der Republik schon?
José Luis Gordo
58, ist Lehrer und Vorsitzender der Stiftung Angel Llorca, die sich für eine Erneuerung des Schulsystems einsetzt.
Die Schule der Republik war das Ergebnis jahrzehntelanger Arbeit pädagogischer Bewegungen, wie zum Beispiel der Institución Libre de Enseñanza, war eine die von dem Philosophen Karl Christian Friedrich Krause inspiriert war. In der Republik wurde der Einfluss der religiösen Privatschulen zurückgedrängt, um soziale Gleichheit im Schulsystem zu schaffen. In der Diktatur gingen bei Weitem nicht alle Kinder auf die Schule. Die allgemeine Schulpflicht kam erst wieder mit der Demokratie nach dem Tode Francos 1975.
Kümmern sich die Schulen heute um ihre Vergangenheit?
Manche ja, andere weniger. Nur ganz wenige Schulen arbeiten den Bruch auf, den der Bürgerkrieg und Diktatur bedeutete.
Das heißt, Franco hatte mit seiner Politik, „die Vergangenheit vergessen“ zu machen, Erfolg?
Ja, das hat leider funktioniert. Und die Demokratie hat wenig dazu beigetragen, dies zu ändern. Dass wir heute, 40 Jahre nach der Verabschiedung der aktuellen Verfassung, darüber debattieren, ob wir franquistische Straßen- und Schulnamen ersetzen, spricht für sich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen