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Wie es sich anfühlt, klein zu sein

Wo Kunst und Geschichte sich verbünden: In diesem Jahr stellen die Künstlerinnen von Endmoräne in einem ehemaligen Kinderwochenheim in Eisenhüttenstadt aus

Von Jens Uthoff

Plötzlich fühlt man sich so klein. Oder klein gemacht. Von diesem Raum, in dessen Mitte man steht und an dessen Wänden, Decke und Boden dicke schwarze Linien einen zu erdrücken scheinen. Sie bilden geometrische Formen, vergleichbar mit den Holzbalken eines Fachwerkhauses. Hier wirken sie wie Gitter. Wie ein strenges Ordnungssystem, aus dem es kein Entkommen gibt.

„Raumquadrat“ heißt die Installation, entworfen von der Berliner Künstlerin Angela Lubič. Sie nimmt damit Bezug auf den Ort, an dem das Werk zu sehen ist – ein ehemaliges Kinderwochenheim in Eisenhüttenstadt. Die Arbeit ist Teil der neuen Schau des Künstlerinnenkollektivs Endmoräne, das in einer Gruppenausstellung der Geschichte dieser Institution auf den Grund geht – neben Tageseinrichtungen für Kinder gab es in der DDR bereits für Säuglinge sogenannte Wochenkrippen, für Kinder ab drei Jahren Wochenheime. Wer dort war, war zwei Tage pro Woche bei den Eltern, fünf Tage im Heim. Und das schon im Alter von 6 bis 8 Wochen, direkt nach dem Mutterschutz. „Plan 2\5 im Raster für eine bessere Zukunft\?“, heißt die Endmoränen-Ausstellung entsprechend.

Die Künstlerinnengruppe Endmoräne hat sich in nunmehr 27 Jahren ihres Bestehens einen Namen damit gemacht, verlassene Orte und Gebäude in Brandenburg zu bespielen und zu ‚befragen‘. Deshalb auch der Name Endmoräne: Der Begriff bezeichnet Aufschüttungen am Rande von Gletschern – eine Gesteinsformation, ein Resultat der Erdgeschichte.

Nun also Kinderwochenheime als Resultat der Geschichte. Der Standort Eisenhüttenstadt könnte für dieses Thema besser kaum gewählt sein, denn der Ort – ehemals Stalinstadt – ist das Paradebeispiel einer sozialistischen Planstadt, konzipiert für die Arbeiter_innen der Stahlwerke. Diese konnten den Nachwuchs montagmorgens ins Heim geben und ihn dort freitags wieder abholen.

Wie viele Kinder in der DDR insgesamt in den Wocheneinrichtungen waren, kann man nur schätzen, die Bundeszentrale für politische Bildung geht von hochgerechnet 100.000 Kindern aus, die allein in DDR-Wochenkrippen waren. Wie es in den Heimen zuging, lassen einige „Qualitätssiegel“ erahnen, die im Rahmen der Schau nun an der Wand hängen: „Anerkannter Bereich vorbildlicher Ordnung, Sicherheit, Sauberkeit und Disziplin“ steht auf einem.

Angela Lubič übersetzt das oft strikte Regime in diesen Institutionen in strenge Linien und Formen. Sie ist die einzige ausstellende Künstlerin, die selbst als Kind eine solche Einrichtung besucht hat. Sie sagt allerdings, sie habe keine Erinnerungen daran – in Gesprächen mit ihrem ehemaligen Umfeld habe sie sich an das Thema herangetastet.

Interessant ist, dass viele Künstlerinnen, deren Arbeiten unter anderem in ehemaligen Schlaf-, Ess- und Waschräumen ausgestellt sind, mit dem Gefühl des Rezipienten in den Zimmern experimentieren. So ist man in Dorothea Neumanns Rauminstallation „Ich will ja nur dein Bestes“ umgeben von Aussagen, die man als Kind von Eltern und Erziehern hört („Mein liebes Fräulein, so nicht“ – „Muss ich erst böse werden?“ – „Du bist ein artiges Kind“). An allen vier Wänden hängen sie, schwarz auf weiß gedruckt, die überwiegend negativen Aussagen sind rot umrahmt. Die Worte scheinen einen zu drangsalieren, wie man da so klein und unbedeutend in der Raummitte steht.

Auch Ka Bomhardt verkleinert in ihrer Arbeit scheinbar den Raum, auch hier ist man von schwarzen Balken umgeben. Betritt man das Zimmer, könnte man ein Kind sein, das unter einem Tisch hockt. Zugleich wird man aber selbst zum „Täter“, denn mit den Füßen tritt man auf kleine, mit Kohle auf den Boden gezeichnete Geschöpfe, aus deren Blicken hoffnungslose Unterlegenheit spricht.

Machtverhältnisse sind auch das Thema der eindrucksvollen Arbeit „Seid bereit!“ von Frauke Danzer: 49 Kinderfüße aus Kautschuk hat sie in Reih und Glied angeordnet, sie stehen stramm wie Soldaten, und sie sehen sich einer Erzieherin gegenüber, die durch ein großes weißes Kleid symbolisiert wird. Aber auch diese scheint – der Draht in dem papiernen Kleid weist darauf hin – eingeschnürt, eingeengt zu sein.

Ähnlich angeordnet – in Form einer Schulklasse – hat Patricia Pisani ein Stockwerk tiefer ihre Sandblöcke in Zylinderform: 5 Reihen à 5 Blöcke für die zu Erziehenden, ein Block vorne für den Erziehenden. Ein starres Schema, dem nicht alle standhalten, wie man sieht: Hier und da bröckelt der Sand.

Es gäbe noch viele weitere Arbeiten zu erwähnen, denen man die intensive Auseinandersetzung mit dem Ort anmerkt, stellvertretend sei Barbara Müllers „Blau tragen“ genannt: In Anlehnung an Blaumänner hat sie ultramarinblaue Kittel genäht, die man als Babytrage genauso interpretieren kann wie als Arbeitskleidung für Frauen. Damit geht sie auf die Ambivalenz der Einrichtung ein, deren Zweck – die Gleichstellung der Frauen im Arbeitsleben – ganz sicher nicht die Mittel heiligt. Sehr pointiert, diese Blaufrauen.

So pointiert, manchmal minimalistisch und um die Ecke gedacht ist die gesamte Ausstellung. Zuweilen nötigt sie einen fast dazu, sich mit dem System der Kindererziehung in Ost wie West auseinanderzusetzen. Frühkindliche Formung, Machtdispositive, Gehorsam, der inhumane realsozialistische Alltag: Das sind hier die großen Themen. Am angenehmsten an der Schau ist, dass sie erst gar nicht so tut, als seien abschließende und einfache Antworten zu den Themen möglich.

Plan 2\5 im Raster für eine bessere Zukunft \? In Eisenhüttenstadt, Erich-Weinert-Allee 4. Sa. + So. 13–18 Uhr, bis 1. Juli. Info: endmoraene.de

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