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Jedes Jahr ein Kita-Antrag

Eltern ohne gültigen Kita-Gutschein müssen alle Kosten selbst tragen und häufen Schulden an. Die Linke fordert deswegen eine Vereinfachung des Gutschein-Systems

Von Kaija Kutter

Lange galt das Hamburger Kita-System als vorbildlich. Doch nun läuft Berlin Hamburg den Rang ab. Das dortige Gutschein-Modell ist weniger bürokratisch. Grund für die Hamburger Linke, einen Antrag zur „Vereinfachung der Beantragung von Kita-Gutscheinen“ zu stellen, den die Bürgerschaft am kommenden Mittwoch debattiert.

Das Verrückte ist: Obwohl in Hamburg seit 2014 die fünfstündige Grundbetreuung kostenfrei ist, kann sie für Eltern teuer werden. Nämlich dann, wenn sie den jedes Jahr wieder fälligen Antrag zu spät stellen. „Wenn Ihr Kind ohne gültigen Kita-Gutschein bzw. ohne gültige Bewilligung betreut wird, müssen Sie die gesamten Kosten der Betreuung selbst tragen“, steht auf der Homepage der Sozialbehörde. Für einen Acht-Stunden-Krippenplatz zum Beispiel können das über tausend Euro sein. Und: „Rückwirkend wird die Bewilligung nicht erteilt.“ Sprich: Wer zu spät beantragt, zahlt.

Wie nun eine Anfrage des Kita-Politikers Mehmet Yildiz (Die Linke) ergab, sind Schulden der Eltern bei Kitas trotz partieller Beitragsfreiheit immer noch Thema. Allein in 80 Einrichtungen der 178 Elbkinder-Kitas summierten sie sich auf je mindestens 20.000 Euro, in einer Kita sogar auf 165.000 Euro. Auch die Kita-Träger Stiftung Finkenau und Rudolf-Ballin-Stiftung meldeten Säumnisse in fünfstelliger Höhe. Die Kitas beauftragen Inkasso-Firmen, was die Kosten für die Familien erhöht. Etliche Fälle landen vor Gericht. Wird kein Geld eingetrieben, fehlt es den Kitas.

Die Frage, wie oft Eltern Schulden machten, weil schlicht der Folgeantrag fehlte, beantwortete der Senat Yildiz nicht. Doch der geht davon aus, dass hier der Hase im Pfeffer liegt. „Wir wollen eine Vereinfachung wie im Berliner Modell“, sagt Yildiz. „Dort müssen Eltern die Gutscheine nur einmal für ihre Krippenkinder und einmal für ihre drei- bis sechsjährigen Kinder beantragen.“

Hamburg betreibt einen hohen Aufwand. Jährlich müssen rund 73.000 Kita-Anträge neu bewilligt werden. In Berlin sind es etwa zwei Drittel weniger. „Mit dem Berliner Modell würde sehr viel Bürokratie wegfallen, das müsste auch die Behörde begrüßen“, sagt Sabine Kümmerle, Geschäftsführerin des Wohlfahrtsverbands Soal. Das Hamburger Kita-System sei insgesamt mit den Jahren immer komplexer und filigraner geworden. „Es würde sich lohnen, das mal anzugucken: Brauchen wir das so?“

Das Thema beschäftigt die Kita-Verbände schon länger, stand im Februar bereits auf der Tagesordnung der gemeinsam mit der Stadt geführten „Vertragskommission“. Die Behörde schlug damals zur Lösung des Problems ein „verbindliches Erinnerungsverfahren“ vor, etwa im Zuge einer Gutschein-Digitalisierung. Doch dies haben die Verbände abgelehnt, weil sie mehr Bürokratie fürchten.

Hamburg vs. Berlin

In Hamburg werden rund 72.800 Kinder in Kitas betreut, davon sind 25.298 Krippenkinder und 47.502 Drei- bis Sechsjährige.

Kinder ab dem ersten Lebensjahr haben in Hamburg Anspruch auf täglich fünf Stunden kostenfreie Kita-Betreuung.

Für Betreuung von täglich sechs und mehr Stunden muss Bedarf nachgewiesen und ein anteiliger Elternbeitrag gezahlt werden.

Berlin gewährt Kindern ab erstem Lebensjahr ohne Bedarfsprüfung bis zu sieben Kita-Stunden. Für mehr Stunden muss der Bedarf nachgewiesen sein. Ab August ist die Kita für alle Altersgruppen kostenlos.

Die Sozialbehörde hält die jährliche Antragstellung für nötig. „Hintergrund ist eine regelmäßige Überprüfung, ob die Bewilligungsvoraussetzungen weiterhin vorliegen“, so Sprecher Enrico Ickler. Geprüft wird etwa auch, ob der bewilligte Stundenumfang noch nötig ist. Berlin ist da lockerer. Dort haben Kinder unabhängig von der Eltern-Tätigkeit Anspruch auf einen Sieben-Stunden-Platz.

Das Berliner Modell führe zu „erheblichen Kapazitätsproblemen“, gibt Ickler zu Bedenken. „Eltern warten zum Teil sehr lange auf einen Platz.“ „Lange Wartezeiten sind ein Problem des Platzausbaus, das man gesondert betrachten muss“, hält Yildiz dagegen. Die Hamburger Regel sei Ausdruck von Misstrauen gegenüber den Eltern.

Doch immerhin wollen SPD und Grüne den Linken-Antrag in den Familienausschuss überweisen. Grundsätzlich teile sie „das Anliegen einer Vereinfachung des Kita-Gutschein-Systems“, sagt die Grüne Anna Gallina. „Wir müssen aber sorgfältig prüfen, ob und wie ein neues Verfahren zum Kita-Gutschein-System passt“. Er wolle im Ausschuss das „Für und Wider“ diskutieren, ergänzt SPD-Jugendpolitiker Uwe Lohmann. Sein Ziel sei, das Verfahren für Eltern und Beschäftigte „so einfach wie möglich zu gestalten“.

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