piwik no script img

Mehr als eine Nummer

Die Kennzeichnungspflicht für Polizisten ist seit dem G20-Gipfel mal wieder Thema. Die Erfahrung aus anderen Bundesländern ist gut, aber die Gewerkschaften in Hamburg mauern

Von Marco Carini

„Wir wollen die gesellschaftliche Debatte über die Kennzeichnungspflicht“, sagt Sören Schuhmacher, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Diskutiert hat man schon mal: Am Freitagabend im Rahmen einer Expertenanhörung in der Bürgerschaft. Schuhmacher hat „kaum neue Argumente gehört“, schließlich wird die Debatte seit über zehn Jahren im politischen Raum geführt. Doch sei der Diskurs „angenehm sachlich“ verlaufen, sagt Schuhmacher.

Tatsächlich belegten die Statements der von den Parteien geladenen Experten vor allem, dass die Kennzeichnungspflicht, die es in acht der 16 Bundesländer gibt, in der Praxis kaum Auswirkungen hat. Bislang gibt es bundesweit keinen Polizisten, der – einer Straftat beschuldigt – nur aufgrund der Kennzeichnung identifiziert werden konnte. Umgekehrt, das zeigten die Beiträge aus Brandenburg und Berlin, wo die Kennzeichnungspflicht schon länger existiert, haben sich die betroffenen Beamten an die Kennzeichnung gewöhnt und über keinerlei Nachteile berichtet.

Zudem hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine individuelle Kennzeichnung von PolizistInnen in einem Urteil aus dem vergangenen Jahr angemahnt. Trotzdem sind die Polizeigewerkschaften geschlossen gegen die Kennzeichnung, sehen sie als „Signal des Misstrauens“ gegen die Beamten. Doch weite Teile der Hamburger SPD wollen eine Entscheidung nur im Konsens mit den Gewerkschaften – die aber ist nicht in Sicht.

Obwohl die SPD schon vor Jahren – und die rot-grüne Koalition in ihrem aktuellen Regierungsvertrag auch – beschlossen hat, die Kennzeichnungspflicht ernsthaft zu prüfen, ruht das Thema seit Jahren auf Regierungsebene. Rund um den G20-Gipfel galt es in der Koalition als „nicht diskutierbar“, weil emotional zu aufgeladen. Noch immer spielen die Nachwirkungen des Gipfels in die Debatte hinein.

„Wird die Polizei im G20-Ausschuss allzu stark zum Buhmann, gerät sie in die Defensive, und ist eine Kennzeichnungspflicht nicht durchsetzbar“, prognostiziert ein Mitglied des Innenausschusses. Das Credo vieler Polizisten: Erst halten wir bei G20 die Knochen hin, und erhalten dann als Quittung mit der Kennzeichnung auch noch besagtes Signal des Misstrauens.

Das Credo vieler Polizisten: Erst halten wir bei G20 die Knochen hin, und erhalten dann als Quittung mit der Kennzeichnung ein Signal des Misstrauens

In Hamburgs rot-grüner Koalition sind es jetzt die Grünen, die dieses Thema weiter vorantreiben. So verweist die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Antje Möller darauf, dass nicht nur jedes zweite Bundesland, sondern auch die Mehrzahl der europäischen Staaten die Kennzeichnung eingeführt habe, ohne dass es irgendwo „negative Erfahrungen“ gäbe. Sie plädiert dafür, die Debatte „unaufgeregt“ zu führen. Linke und FDP haben bereits Vorschläge für eine Kennzeichnungspflicht vorgelegt.

Die Linke fordert bei Polizeieinsätzen „eine zur Identitätsfeststellung geeignete individuelle Kennung“ durch eine höchstens sechsstellige Kombination aus Ziffern und Buchstaben. Die FDP fordert im Prinzip dasselbe, will die Kennzeichnung aber „mit jedem Einsatz nach dem Zufallsprinzip“ ändern, was nach Auffassung von Rot-Grün aber einen nicht zu verantwortenden bürokratischen Aufwand bedeuten würde.

„Ob eine Kennzeichnung kommt, ist völlig offen, klar ist nur, dass es Namensschilder“, wie sie heute die meisten Streifenpolizisten tragen, „bei geschlossenen Einsätzen nicht geben wird“, sagt Schuhmacher. Dem Vernehmen nach steht auch Innensenator Andy Grote (SPD), dessen Veto die Debatte sofort beenden könnte, einer Kennzeichnungspflicht durchaus aufgeschlossen gegenüber. Nach der Sommerpause wird der Innenausschuss Senatsvertreter und die Polizeispitze zu diesem Thema anhören. Erst danach wird sich zeigen, ob die SPD das Thema weiter aussitzten kann.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen