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Volle Kontrolle

Die argentinische Indie-Rockband Él Mató un Policía Motorizado stellt in Berlin ihr drittes Studioalbum vor. Dabei sehen sie sich nach wie vor dem Prinzip Do it yourself verpflichtet

Von Timo Berger

Während ihre Heimat Argentinien seit Kurzem wieder am Tropf des Internationalen Währungsfonds hängt, geht es Él Mató a un Policía Motorizado auf ihrer Europatour ziemlich gut. „Wir spielen durchschnittlich vor 600 Leuten“, erzählt Santiago Barrionuevo, Sänger und Bassist der Rockband aus La Plata.

Der sperrige Name der Indie-Formation („Er hat einen Motorradpolizisten umgelegt“) ist ein Zitat aus dem Film „Stirb langsam“ und programmatisch dafür, dass man alles ein wenig anders macht. „Wir haben zuerst eine Platte aufgenommen und sind dann aufgetreten“, erinnert sich Barrionuevo an die Anfänge der Gruppe 2003. Die fünf Mitglieder stammen aus dem Dunstkreis der Oberschule für bildende Kunst in La Plata. Eine Stunde Autofahrt von Buenos Aires entfernt, hat die Provinzhauptstadt bis heute einen eigenen, fast dörflichen Rhythmus bewahrt: „Die Uni und alles darum herum verleiht ihr einen jugendlichen Spirit, künstlerisch ist da ständig was am Brodeln.“

Viele der angesagtesten Indiebands Argentiniens sind heute aus La Plata. Anfangs war es schwer, sagt Barrionuevo, außerhalb der Stadt aufzutreten. Das veränderte sich mit dem Internet: Man musste nicht mehr in die traditionellen Medien kommen, um bekannt zu werden. Die Musik fand ihr Publikum über die sozialen Netzwerke. Fans stellten die ersten Platten von El Mató online, dann fingen sie selbst damit an.

Auf ihrem YouTube-Kanal sind ihre drei Studioalben, EPs und Singles komplett zu hören. Dass die Fans ihre Musik teilen, habe sie nie gestört: „Das trägt zur größeren Verbreitung der Band bei.“ Den Austausch von MP3-Files hätten sie ja selbst als Musikhörer in einem peripheren Land wie Argentinien als Segen empfunden: „Es gab so vieles, was man nur so bekommen konnte.“ Für Musiker änderte sich dagegen das Geschäftsmodell radikal. Wenn man sich früher nach einem Megahit zurückziehen konnte, müssen Bands heute wieder oft auftreten. Eine Entwicklung, die Barrionuevo aber begrüßt: „Die Erfahrung eines Livekonzerts ist unersetzlich.“

Do it yourself verpflichtet

Künstlerisch bewahrt die Band die volle Kontrolle, bei einer großen Plattenfirma unter Vertrag zu sein, kam nie in Frage. „Unser Ding war es immer, unsere eigenen Platten zu machen – mit Fotokopien und alles in Handarbeit.“

Als sie ihre erstes Album aufnahmen, recherchierte Barrionuevo im Internet, wo man CDs herstellen lassen konnte. Zusammen mit Freunden gründeten sie 2004 ein Label, Latrapa, wo heute die eigenen Platten und die von Bands wie 107 Faunas, Ligas Menores oder Go-Nekro! erscheinen.

Ihr eigener Weg führte zwar nicht zum schnellen Hit, doch zu einer stetig wachsenden Fangemeinde

Ihr eigener Weg führte zwar nicht zum schnellen Hit, doch zu einer stetig wachsenden Fangemeinde. Inzwischen erscheinen ihre Alben zeitgleich in Argentinien, Mexiko, den USA und Spanien. Im April füllten sie in ihrer Heimatstadt zum ersten Mal ein Fußballstadion. Nach wie vor sehen sie sich dem Prinzip Do it yourself verpflichtet. Barrionuevo, der ehemalige Kunstoberschüler, gestaltet das Artwork der Band. Nur das aktuelle Album nahm El Mató mit dem erfahrenen Soundingenieur Eduardo Bergallo in der Sonic Ranch in Texas auf.

Nach der einmonatigen Produktion in der texanischen Klausur ist die Verzerrung der Lo-Fi-Anfänge zurückgefahren, erhebt sich die prägnante Stimme des Sängers manchmal glasklar über den Gitarren. Auch die Songstrukturen auf „La sintesis O’Connor“ sind vielschichtiger geworden. Doch bis heute sehen die fünf Mittdreißiger aus wie Jungs aus der Nachbarschaft. Barrionuevo erklärt dies mit ihrer Begeisterung für US-Indiebands. „Ich erinnere mich, wie wir zum ersten Mal ein Foto der Band Yo La Tengo sahen. Wir mussten lachen. Was sind das für Vögel! Ein Dicker und noch so ein Kerl, eine Frau am Schlagzeug, alle ganz normal angezogen. Wir konnten uns mit dieser Haltung sofort identifizieren.“

Doch es ist nicht nur diese Ablehnung von Glamour und Rockstarallüren, die bei den Fans ankommen, es sind auch die melancholischen Texte, die nie ganz zu Ende erzählten Geschichten über meist unglückliche Beziehungen. „Die Texte basieren auf persönlichen Erfahrungen, eigene oder von uns nahestehenden Menschen.“ Bewusst würde er in seinen Texten einen Gedanken nicht direkt angehen, sondern schreibe um ihn herum, verzettele sich dabei auch manchmal. Dadurch öffnen sich die Texte für unterschiedliche Lesarten.

Im ersten Song des aktuellen Albums „El tesoro“, eigentlich ein Liebeslied, heißt es sloganhaft „Es la depresión sin épica“ (Wir sind in einer Depression ohne Epik). Eine Anspielung auf die aktuelle argentinische Krise? Das sich diese auch auf die Indieszene auswirkt, ist nicht von der Hand zu weisen. Es werden weniger Platten und Konzerttickets verkauft, Musikläden schließen. „Ich merke, dass selbst die hartgesottenen Fans von Livemusik nur noch ein, zwei Mal im Monat auf ein Konzert gehen.“ Barrionuevo sieht die Regierung deshalb kritisch. Mauricio Macri verfolge eine harte Sparpolitik, und als erstes kürzten sie bei den Dingen, die ihnen nicht wesentlich erscheinen wie Kunst, Kultur und Bildung.

El Mató feiern heute das Ende ihrer Europatour im Bi Nuu am Schlesischen Tor um 21 Uhr.

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