: Nur jedes zweite Kind geht zur Schule
Bildung bleibt für viele afghanische Kinder ein unerreichbares Ziel. Fast die Hälfte von ihnen im Alter zwischen 7 bis 17 Jahren geht nicht zur Schule. Dies ist das Ergebnis einer Studie, die das UN-Kinderhilfswerk Unicef Anfang Juni zusammen mit anderen Hilfs- und Entwicklungsorganisationen vorgelegt hat. Genauer gesagt, sind es 43,7 Prozent der Kinder oder insgesamt 3,7 Millionen, die in dem Land am Hindukusch nicht am Unterricht teilnehmen. 60 Prozent davon sind Mädchen.
In den mehrheitlich von Paschtunen bewohnten und sehr stark vom Konflikt mit den radikalislamischen Taliban betroffenen Provinzen Kandahar, Helmand, Wardak, Paktika, Sabul und Uruzgan gehen sogar bis zu 85 Prozent der Mädchen nicht zur Schule.
Die Hilfsorganisation One kam im vergangenen Oktober in einem Bericht zu dem Ergebnis, dass Afghanistan bei der Beschulung von Mädchen weltweit vor dem Südsudan, der Zentralafrikanischen Republik und dem Niger auf dem viertletzten Platz liegt. Zugleich ist es der Spitzenreiter bei der Geschlechterungleichheit. So habe schon im Jahr 2014 das Verhältnis zwischen Schuljungen und -mädchen 100 zu 71 betragen.
„Wenn Kinder nicht zur Schule gehen, steigt die Gefahr von Missbrauch, Ausbeutung und Kinderarbeit“, sagt die für Afghanistan zuständige Unicef-Länderdirektorin Adele Khodr. Als Gründe für das Fernbleiben vom Unterricht werden vor allem der anhaltende Krieg in Afghanistan, die Armut, aber auch Flucht und Vertreibung, Diskriminierung, Kinderehen und fehlendes Lehrpersonal genannt.
Allein in diesem Jahr ist die Zahl der Binnenflüchtlinge in Afghanistan bereits um weitere 100.000 Menschen gestiegen. Im Vorjahr waren laut UN-Nothilfebüros Ocha 445.000 durch den gewaltsamen Konflikt vertrieben worden. Seit Ocha im Jahr 2012 mit der Veröffentlichung seiner Statistik begann, wurden mehr als 2 Millionen Binnenflüchtlinge gezählt.
Unter der bis Ende 2001 in den meisten Landesteilen dauernden Herrschaft der Taliban war Mädchen offiziell der Schulbesuch verboten worden. Sie konnten oft nur noch Dank privater Initiativen ihrer Eltern Lesen und Schreiben lernen. Mit Bildung insbesondere für Mädchen und Frauen wurde denn auch das starke militärische Engagement der Nato-Staaten in Afghanistan begründet. Doch ist die Entwicklung inzwischen wieder rückläufig.
Dabei waren zu Beginn durchaus Erfolge erzielt worden. So konnte die Alphabetisierungsrate unter Jugendlichen im Alter von 15 bis 24 Jahren laut der Regierung in Kabul von 31 Prozent im Jahr 2005 auf 54 Prozent 2017 angehoben werden. Noch heute stellt Unicef in der Studie positiv fest, dass die Abbrecherquote recht gering ist. So würden 85 Prozent der eingeschulten Kinder das letzte Grundschuljahr abschließen – ein Hoffnungsschimmer. Sven Hansen
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