: Ende der Penisherrschaft
Zwei Tage und Abende in schweißklammen Hemden: Das Torstraßenfestival wurde in diesem Jahr von schwüler Hitze und rappenden und rockenden Frauen dominiert
Von Jens Uthoff
Was wird bleiben? Diese Frage stellt man sich ja doch, nachdem man zwei Tage und Abende in schweißklammen Hemden durch diesen komischen Ort namens Mitte vom einen dunklen Club in den nächsten geschlendert ist und ein Festival mit insgesamt mehr als 40 Konzerten zu Ende geht. Tatsächlich bleibt viel vom diesjährigen Torstraßenfestival; vor allem die Frauenstimmen, die auf sehr unterschiedliche Weise – reimend, kreischend, hauchend – den Ton gesetzt haben.
Mit feinst-fiesem österreichischen Humor glänzt am Samstag im Roten Salon etwa die Klitclique aus Wien. Das Trap-Duo, bestehend aus den beiden MCs $chwanger und G-udit, ist im Umfeld der Burschenschaft Hysteria sowie der Schriftstellerin Stefanie Sargnagel angesiedelt und widmet sich wie jene ganz dem angestrebten Ende der Penisherrschaft im HipHop und anderswo. Der dahingerappte Slogan „Auf zum goldenen Matriarchat“ ist Programm, beiläufig lassen sie brillant-komische Verse wie „Wo sind deine Hoden/ am Boden“ fallen.
Es ist groß, wie lässig Klitclique den erbärmlichen Zustand des testosterongesättigten Rap aufzeigen und ihn in seine Einzelteile zerlegen. Alles an ihnen ist übertrieben: Den Autotune-Effekt setzen sie noch großzügiger ein, als die aktuelle Trap-Szene dies tut, G-udit ist mit vergoldeten Klunkern behangen, die sie wahrscheinlich in einem 1-Euro-Shop erstanden hat, und fährt sich immer wieder tussimäßig durch die lockigen blonden Haare, um dann ein französischsprachiges Lied mit den affektierten Worten „Ich kann Französisch“ anzukündigen. $chwanger murmelt auf Wienerisch immer wieder irgendetwas Ironisches vor sich hin. Das Album, das sie vorstellen, heißt übrigens „Schlecht im Bett, gut im Rap“, die beiden tragen passend zum Anlass schicke „Bad in Bed“-T-Shirts dazu. Wer da nicht Fan wird, ist selbst schuld.
Fan war ich vor dem Torstraßenfestival schon von den Cuntroaches, einem Grindcore-Punk-Noise-Trio aus Berlin, das bei seinen Auftritten mit Müll um sich wirft und mit Gewalt auf seine Instrumente eindrischt. Das funktioniert auch im Acud wieder hervorragend: Sängerin Martina Schöne-Radunski schreit, grunzt und kreischt ins Mikrofon, schrubbt dazu auf ihrer Gitarre herum, während Schlagzeugerin Claire Panthèr im Irrsinnstempo auf Snare Drum und Hi-Hat einprügelt und David Hantelius ein bisschen Bassgewummer beisteuert. Ein Konzert wie eine kurze, heftige Wutorgie – für die Beteiligten wohl Hochleistungssport. Und das bei den Temperaturen.
Gemächlicher lässt es an gleicher Stelle zuvor Saba Lou angehen, eine 18-jährige Songwriterin aus Berlin, die bislang meist mit ihrem Vater – dem Voodoo-Soul-Großmeister King Khan – assoziiert wird. Wenn einen nicht alles täuscht, wird sie aber selbst bald eine Karriere hinlegen, die diese Referenz überflüssig macht. Gemeinsam mit Oska Wald von Chuckamuck spielt sie ein Set aus Americana-/Country-Songs mit Soul-Einschlag, bei dem vor allem der jeden Ton treffende, toll variierende Gesang dieser coolen jungen Frau im Publikum für offen stehende Münder sorgt.
Was war noch? Der Ghanaer King Ayisoba alias Albert Apoozore beweist im Ballhaus, dass man nur mit zweisaitiger Kologo-Laute und einer als Rassel benutzten Kalebasse so viel Groove erzeugen kann wie andere mit einer Bigband. Die Berliner Pop-/R-’n’-B-Sängerin Dena spielt gleichenorts später ein solides Lounge-Musik-Set und bringt damit den unverkennbaren, Cocktail schlürfenden Erlend Øye und andere im Publikum zum Mittwippen.
Für das Highlight des Abschlussabends in der Volksbühne sorgt ebenfalls eine Frau: Lido Pimienta. Die kolumbianisch-kanadische Musikerin ist mit ihren rund ein Meter langen Zöpfen und ihrem bunten Gewand eine veritable Erscheinung, sie mischt Pop, Elektronik und Cumbia. Obwohl hochschwanger, hüpft sie quickfidel zwischen ihren beiden Mitmusikern über die Bühne und hat vom Operngesang bis zum Death-Metal-Geschrei alles drauf. Eindrucksvoll.
Die volle Breitseite 80er-Revival gibt’s auch noch: Erst stellt das Berliner Duo Itaca seinen perfekt inszenierten Italo-Pop-Neuentwurf vor, und als Letztes bringt Alex Cameron am Sonntagabend die ganze Volksbühne zum Schwofen. Bei seiner Musik würde allerdings das viel zitierte Schlagwort Retromania passen, denn was Cameron kreiert, ist wie ein Reenactment der Achtziger, hervorgekramt wie ein altes Ellesse-T-Shirt. Dem Publikum im am Ende gut gefüllten großen Saal gefällt’s. Die Kunst als Kommentar zur Gegenwart hatte man zuvor allerdings eher in den Auftritten von Klitclique und Co gesehen.
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