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Auf Kajal und Turnschuh

Pünktlich erschienen zum Torstraßenfestival: „Späti Palace and Friends“, eine Compilation zum 5. Jubiläum des Berliner Plattenlabels

Von Robert Mießner

Auch wieder da: Das Achtzigerjahre-New Wave-Saxofon! Ein Instrument, über dessen Sound sich Kajalstift und Turnschuh schon mal heftig in die asymmetrischen Frisuren kommen können, aber der Reihe nach: Zu vernehmen sind die blechernen Töne in einem charmanten Vierminüter der Berliner Band Strand Child. „Misterio“ heißt er und klingt auch so: Leicht beschwipster Gitarrenpop, sonnendurchflutet kommt er daher, doch dürften es die Strahlen des frühen Abends oder Morgens sein. Gleich in der ersten Zeile stellt sich der Sänger als ruhelose Seele am Rande des Kontrollverlusts vor. So kann es sein, das Leben in der großen Stadt. Ganze Alben, bittersüß-melancholisch wie ein Heimweg im Frühlicht, sind davon geschrieben worden. Platten von jungen Menschen für solche, die meinten, schnell zu altern, und dabei nicht abgeklärt wurden.

Eines dieser Alben ist am Donnerstag im Schokoladen in Berlin-Mitte vorgestellt worden: „Späti Palace and Friends“, eine Compilation zum 5. Jubiläum des Berliner Plattenlabels Späti Palace. Wer sich die zwölf Songs von zwölf Bands anhören möchte, der zuständige, auf dem Konzert verhinderte Reporter empfiehlt dies wärmstens, braucht dafür ein Gerät, das seine große Zeit auch in den Achtzigern hatte: einen Kassettenrekorder, denn das Album ist als Tape erschienen, so wie 2013 die erste Veröffentlichung auf Späti Records mit ebenfalls einem Dutzend KünstlerInnen.

Da schließt sich ein Kreis und dreht sich aufs Neue: Das Label mit dem sehr berlinischen Namen wurde von dem hauptberuflichen Onlineplattenhändler Barry Cliffe und der Bookerin Amande Dagod gegründet, um in der landläufig mit elektronischer Musik assoziierten Stadt Gitarrenpop und -rock jeder Couleur einen Ort zu geben. 23 Titel liegen mittlerweile vor, darunter mehrere 7"-Singles, eine Split-Single, EPs und Split-Tapes, ein Beitrag zum International Cassette Store Day – dem Pendant zum Record Store Day für den kleinen Geldbeutel – oder ein Album der Psychedelic Band Skiing mit dem famosen Titel „Tagebuch eines Wählscheibentelefons“.

Die Späti-Stilistik kann vieles umfassen: die Freundlichkeit der eingangs erwähnten Strand Child oder aber die Ruppigkeit einer Band wie Girlie, welche die B-Seite des Tapes eröffnet. Girlie, ein Jungstrio übrigens, so viel Konfusion muss sein, spielen einen nervös-flirrenden Noise-Rock, dessen größere Schwestern in Sonic Youth oder Pavement vermutet werden können. Der Girlie-Beitrag „Im Automaten“ macht es nicht unter 7 Minuten, und bei aller Verdrossenheit, die aus ihm spricht, hält er doch eine Ermutigung bereit: „Warum stellen wir immer noch dieselben Fragen?“

Überhaupt gewinnt „Späti Palace and Friends“ dort noch einmal, wo sich dem Charme eine gewisse Kratzbürstigkeit wie Unterkühltheit beigesellen: Der zweite Song der A-Seite gehört dem Quartett Fun Fare mit „Chinese Walls“: Stoisches Schlagzeug, geklopft wie auf einem dickleibigen Branchenbuch, die Gitarren im Akupunkturmodus, dazu Morse­si­gnale eines Keyboards und darüber Sänger und Sängerin in prägnantem ­Wechselgesang. Danach das Trio Soft Grid, dem der Höhepunkt der Compilation gelingt: „Corolla“, knapp 6 Minuten Space Pop am Rande von Prog Rock, mit Keyboards, Stylofon und einer Sängerin, die Russland oder China heraufbeschwört.

Wer Späti Palace einmal Hallo sagen möchte, kann das diesen Sonntag von 12 bis 18 Uhr im Rahmen des Torstraßenfestivals auf dem Independent Label Markt in der Volksbühne tun. Gut möglich, dass die Gitarren später noch Autoscooter fahren und Kajal und Turnschuh ­darauf anstoßen. Glaubste nicht? Kannste ’n polnischet Bier drauf nehmen. Frühmorgens um halb drei, da, wo die Oberleitungen den Nachthimmel schaukeln.

Beim Labelmarkt in der Volksbühne sind außer Späti Records u. a. !K7 Records, 4AD, Domino, Erased Tapes und Ninja Tune. Eintritt frei

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