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Zeichen finden im wüsten Land

Kadir „Amigo“ Memiş macht hybride Stadtraumkunst und bringt mit „Back to Zero“ am HAU1 beim Performing Arts Festival zusammen, was zusammengehört: die HipHop-Kulturen Graffiti und Breakdance

HipHoppend: Kadir „Amigo“ Memiş: „Back to Zero“ Foto: Moritz Carstens

Von Astrid Kaminski

Ein Duett mit dem Sommer, auch das ist Kadir „Amigo“ Memiş’ neues Stück „Back to Zero“ im bombenlückenartigen Zufahrtshof des HAU 1. Eine große, kieselgraue Wand begrenzt den asphaltgrauen Tanzboden wie eine Brandmauer, vom dahinter stehenden Haus huscht ab und zu ein Blick vom Balkon herüber. Nebenan kübelt der Nachbar seinen Kompost aus, verharrt mit halb entleerter Schubkarre für eine Weile in Betrachtung, wird mit seiner„Back to Zero“-Ladung zur Chiffre.

Das Publikum sitzt mit Kaltgetränk im Schneidersitz, der Himmel ist an dem Donnerstag freundlich, das Abendlicht verkriecht sich in die Poren der Luft oder schielt aus einem flachen Winkel noch kurz herein, bis es kurz vor Sonnenuntergang, einvernehmlich mit der Lichtführung von Sebastían Zamponi, noch einmal von irgendwoher aufzuflammen scheint. Die silberweißen Tag-Spuren auf der Brandmauer, die inzwischen zur Leinwand für ein Graffiti-Piece wurde, leuchten phosphoreszierend auf – eine belsatzarische Flammenschrift. Die letzten Bassklarinette-Melosfäden verklingen, eine Krähe kommentiert lautstark und erinnert an Robert Schuberts einsamen Wanderer.

Einen „urban nomad“ nennt sich Amigo. Angst davor, unterschiedlichste Referenzen zusammenzupacken, hat er nicht – und dieses traumwandlerische Assoziieren färbt ab. Amigo, ohne den die Urban-Dance-Szene Deutschlands heute anders aussähe, verbindet anatolischen Volkstanz mit HipHop, Chaplin mit Locking, Tagging mit Tanzchiffren, Graffiti mit Kalligrafie, Dubstep mit Jazz, Verlon, eine Slangsprache des HipHop, mit einem uner­müdlichen Erklärerdasein, ­Funkin’ Styles, die von ihm mit ins Leben gerufene Mega-HipHop-Battle, mit dem Interesse für andere zeitgenössische Tanzstile.

Nachdem er den Hybrid ­„Zeybreak“ geschaffen hat, eine Mischung aus dem Volkstanz Zeybek aus seiner ländlichen türkischen Heimat und Breakdance, hat er mit „Back to Zero“ – laut einem Begleit­essay von Lukas Fuchsgruber – einen nächsten Bastard geschaffen: BOUZUQ∑∑, abgeleitet von der griechischen Schalenhalslaute Bouzouki, referierend auf das türkische Wort „bozuk“ für „gebrochen, kaputt“ und gemeint als Hommage an die 2010 verstorbene New-Yorker HipHop-Ikone Rammellzee. Die griechische Bouzouki, unentbehrlich für den melancholischen Rembetiko, entstand als Instrument Anfang des 20. Jahrhunderts und verbreitete sich vor allem im Zuge der Fluchtbewegungen rund um den soge­nannten türkisch-griechischen Bevölkerungsaustausch. Das griechische Sigma (∑) in BOUZUQ∑∑erinnert an das zackige E in Rammellzees Tags.

Ein grafisches Kunstwort also, das für eine Verbindung von Folklore und Street Culture, für das Migrieren von Kulturen und Begriffen, das Entstehen von Neuem aus Kaputtem, das Sicheinschreiben in den Raum, das Überschreiben und Überschriebenwerden steht. Für Rammellzee ist das Tag im Graffiti „not a signature, but a sign-overture“. Aus einer Markierung wird ein eigener Stil.

In „Back to Zero“ entfaltet sich Amigos Stil entlang einer De­stroylinie: Die frisch kieselgrau getünchte Wand wird durch einen langen diagonalen Strich zurückerobert. Mit Zen-artig konzentriertem Schwung kalligrafiert er zunächst mit Wasser, dann mit dünner schwarzer und weißer Farbe, schließlich lässt er Spraydosen explodieren. Aus ­einer sparsam gesetzten Sichel- und Kuppellandschaft wird, begleitet von Milian Vogels One Man Jazz Band, nach und nach eine palmyrisch-apokalyptische Prärie mit technizistisch-archäologischen Überbleibseln, Einschusslöchern, Tierfratzen, blutenden antiken Säulen. Ein Waste-Land-Palimpsest.

Zwei Körper verwachsen im Tanz zu einer Chiffre. Es ist keine Pose für die Ewigkeit

Der Tanz dazu ist sparsam gesetzt. Emmanouela Dolianiti scheint zunächst die Anspannung des (in Anlehnung an Rammellzee superheldenhaft kostümierten) Taggers zu verkörpern, um dann das Prinzip der Verästelung der Schrift mit winkligen Armen und gespreizten Fingern in Tutting-Moves zu übersetzen. Juan Tirado wirkt dagegen wie ein Wassertier auf Landgang, krebst sich über die Bühne, will sich aufrichten und wird von Milan Vogels Drumset-Ausbruch wieder auf den Rücken geworfen. Eine Straßenschlacht, die verebbt und einem Romeo-und-Julia-Contact-Impro-Duett Raum macht. Zwei Körper verwachsen zu einer Chiffre. So gespannt, wie sie sind, ist das keine Pose für die Ewigkeit.

Amigo, der Choreograf, hat ein Faible für Romantik. Mit ein paar Glides nimmt er Abstand vom Graffito, die Pinsel- und Sprayerarme werden im Popping entspannt.

Die Bassklarinette verebbt, die Krähe schreit, die Wand wird schon wieder in Kieselgrau gebufft. Zu dritt sehen die Performer*innen dem Akt wie einem Sonnenuntergang zu. Ein Memento mori, für das sie leben.

Back to Zero ist am Samstag (20 Uhr) und Sonntag (18 Uhr) am HAU1, Stresemannstr. 29 zu sehen – im Rahmen des noch bis Sonntag dauernden Performing Arts Festival Berlin 2018. Programm: www.performingarts-festival.de

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