: Neue Geografie
Mit dem boomenden Welthandel verschiebt sich auch die Bedeutung der Staaten. Nach China erstarkt jetzt Indien
HAMBURG taz ■ Vorbei sind die Zeiten sein, als ein armes Entwicklungsland ein paar Rohstoffe zu Dumpingpreisen in den reichen Westen ausführen durfte – und ansonsten Massen von teuren Industrieprodukten aus dem reichen Westen kaufen musste. Die Welthandelsorganisation Unctad hat eine „neue Geographie“ im Welthandel entdeckt.
Die Unctad, das ist die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung, legte gestern ihren neuen „Handels- und Entwicklungs-Report“ vor. Die Zahlen sind beeindruckend. Der Export aller so genannten Entwicklungsländer legte im vergangenen Jahr um 16 Prozent zu. Gewinner ist nicht allein China, mit einem Plus von 33 Prozent. Auch Indien legt bei der Warenausfuhr mit 18 Prozent zu. Zudem erstarkt Lateinamerika ein wenig (plus 10 Prozent).
Die Unctad konstatiert denn auch, dass das Gewicht der aufstrebenden Länder im Nord-Süd-Handel zunehme und der Süd-Süd-Handel wachse. Zu dieser „neuen Geografie“ gehöre, dass der Anteil von Rohstoffen am Export der neuen Handelsnationen sinkt. Indes wächst der Anteil von verarbeiteten Produkten. Auch der Export der entwickelten Länder legt zu. Mit einem Plus von 11 Prozent ist die Bundesrepublik der Gewinner unter den Industriestaaten.
Weltweit wird immer mehr gehandelt. Dies heißt allerdings noch lange nicht, dass auch immer mehr produziert wird. Der Reichtum der Welt wächst nämlich nur langsam, um 3,8 Prozent, hat die Unctad errechnet. Dass der Welthandel seit 1990 viel schneller wächst als die Realwirtschaft, ist der wachsenden internationalen Arbeitsteilung in der Industrie geschuldet. Indien und Südostasien, da ist sich auch die IG Metall sicher, werden mit niedrigen Löhnen und hoher Produktivität global punkten.
Einen anderen „erheblichen Wettbewerbsvorteil“ sieht die Europäische Zentralbank (EZB) in den niedrigen Dumping-Wechselkursen der asiatischen Schwellenländer, was etwa das indische Currypulver um gut 20 Prozent billiger macht als früher. Aber ein Großteil der Gewinner im Osten und Süden profitiert hauptsächlich vom Ölgeschäft, und selbst China und Indien sind nicht wirklich im globalen Geschäft angekommen. Nur einige „ökonomische Atolle“, so Fachleute, an der Ostküste Chinas oder den Softwareinseln um „Bollywood“ Bombay und Bangalore spielen auf Augenhöhe mit. Wie früher bei den Rohstoffen neigen die Preise der Ostfertigwaren dazu, zu sinken. Ökonomen sprechen deshalb auch schon von einer neuen „Indien-Fantasie“. HERMANNUS PFEIFFER