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Bei schlechtem Wetter wird lauter geklatscht

Theater unter freiem Himmel und an ungewöhnlichen Spielorten erfreut sich im Sommer wachsender Beliebtheit. Für die Veranstalter ist das Wetter allerdings ein Risikofaktor

Von Joachim Göres

Die Vögel zwitschern, die Kirchturmglocke schlägt in weiter Entfernung, ein Flugzeug kündigt sich durch Motorengeräusche am Himmel an. Die Zuschauer auf dem Außengelände des Deutschen Erdölmuseums im niedersächsischen Wietze lassen sich davon aber nicht ablenken und folgen konzentriert der Premiere von „Öl-Fieber“. Eine Vorstellung des Celler Schlosstheaters über den Erdölboom Ende des 19. Jahrhunderts in einem kleinen Heidedorf, bei dem das Publikum im Mai und Juni zwischen Bohrtürmen, Erdöltanks und Holzfässern erleben kann, wie das „schwarze Gold“ das Leben der Menschen verändert.

„Die Hauptrolle spielt das historische Ölfeld. Das ist ein einzigartiges Gelände“, sagt der Öl-Fieber-Regisseur Gerhard Weber. Er lässt seine Schauspieler Förderanlagen hochsteigen, mit einem Oldtimer übers Gelände fahren, mit wehender roter Fahne revoltierende Arbeiter hinter sich vereinen. Große Gesten, viel Bewegung, bunte Kostüme – alles ist eine Nummer größer als auf einer normalen Bühne. „Es ist etwas Besonderes, wenn man in den Sonnenuntergang hineinspielt, Schauspieler mögen das trotz der Anstrengung. Die Wege sind länger, man muss trotz Mikro lauter sprechen und intensiver spielen“, sagt Weber.

Er war mehrere Jahre Intendant am Theater in Trier und damit auch für die Antikenfestspiele im tausend Zuschauer fassenden Amphitheater zuständig. Dort gab es immer zum Ende der Spielzeit ein Dutzend Freilichtaufführungen mit Werken der griechischen Klassiker Sophokles, Aischylos und Euripides, begleitet von Chören und einem Live-Orchester. „Diese Tragödien eignen sich durch ihre Sprache, Wucht und politischen Kontext ganz hervorragend fürs Freilichttheater“, sagt Weber und fügt hinzu: „Das Risiko ist immer das Wetter. Bei Regen fiel die Vorstellung aus, weil die Instrumente nicht nass werden durften.“ In Trier machte das Wetter häufiger einen Strich durch die Rechnung – aus finanziellen Gründen wurden die Antikenfestspiele eingestellt.

Dennoch: Immer mehr professionelle Theater bieten im Sommer Freilichtaufführungen an. Mit populären Stoffen an besonderen Orten soll so auch ein Publikum erreicht werden, das sonst nicht unbedingt ins Theater geht. In gewisser Weise Vorbild sind Laientheater in meist kleinen Orten, die seit Jahrzehnten ihr Publikum vor allem mit Komödien und Kinderstücken unter freiem Himmel erfreuen. So zählte die Waldbühne Ahmsen im Emsland bei jeder ihrer 32 Aufführungen von „Der Glöckner von Notre Dame“ und „Wickie und seine Freunde“ im Schnitt mehr als 1.300 Besucher.

„Das Wetter spielt eine sehr große Rolle, denn es gibt meistens keine Überdachung und zu heiße Temperaturen können sich auch negativ auswirken. Insgesamt steigt aber die Zahl unserer Besucher. Das liegt auch daran, dass die Aufführungen durch moderne Technik und erfahrene Regisseure und Musiker immer professioneller werden“, sagt Magnus Ronge, Sprecher des Verbandes Deutscher Freilichtbühnen. Die in ihm zusammengeschlossenen 90 Bühnen zwischen Ostfriesland und Bayern zählen jährlich zwischen Mai und September in 1.700 Aufführungen knapp eine Million Gäste.

Ronge inszeniert an der Waldbühne Otternhagen in Neustadt am Rübenberge in diesem Jahr „Shakespeares sämtliche Werke (leicht gekürzt)“. „Komödien haben bei uns seit 46 Jahren Tradition, wir wollen unser Stammpublikum nicht enttäuschen. Andere Laienbühnen legen ihren Schwerpunkt zum Beispiel auf Historienspiele. Immer mehr Open-Air-Bühnen führen Musicals auf, das kommt sehr gut an“, sagt Ronge. Sorge bereitet ihm die Zahl der Darsteller und technischen Helfer: „Für eine Produktion sind bei uns rund einhundert Menschen ehrenamtlich im Einsatz, einmal die Woche wird ein halbes Jahr lang geprobt. Beruflich eingespannten Menschen zwischen 25 und 50 fehlt immer häufiger die Zeit dafür.“

Freilichtbühnen

Das Programm des Verbandes Deutscher Freilichtbühnen findet sich auf www.freilichtbuehnen.de. In Hameln führen Laienschauspieler bis Mitte September immer sonntags das Freilichtspiel „Der Rattenfänger von Hameln“ auf. Der historische Marktplatz von Mölln ist Kulisse für die Eulenspiegel-Komödie „Im Rausch der Zeit“ (9.–26. 8.). Mit Blick auf die Förde zeigt das Theater Kiel Shakespeares „Was ihr wollt“ (29. 6.–14. 7.). Das Theater Magdeburg führt auf dem Domplatz das Musical „Jesus Christ Superstar“ vom 15. 6.–8. 7. auf. Vor dem Dom von Worms zeigen die Nibelungen-Festspiele vom 20. 7.–5. 8. „Siegfrieds Erbe“. Über Open-Air-Theaterproduktionen in Mecklenburg-Vorpommern informiert www.auf-nach-mv.de/theater. Internationale Straßentheaterfestivals finden u. a. vom 29. 5.–3. 6. in Rastatt, vom 28.–30. 6. in Görlitz und der Nachbarstadt Zgorzelec sowie vom 27.–29. 7. in Ludwigshafen statt. (jg)

Zahlreiche traditionsreiche Sommerfestspiele locken mit professionellen Schauspielern ihr Publikum jedes Jahr an besondere Stätten. Im Freilicht­theater am Kalkberg in Bad Segeberg sind die 7.800 Plätze meist belegt, wenn Winnetou und Old Shatterhand ihre Abenteuer bestehen. Mehr als 370.000 Besucher kamen 2017 – ein neuer Rekord. In diesem Jahr ist vom 23. Juni bis zum 2. September „Winnetou und das Geheimnis der Felsenburg“ zu erleben.

In Bad Gandersheim bietet der Dom die Kulisse für die 60. Gandersheimer Domfestspiele, bei denen ab dem 10. Juni bis Anfang August Stücke wie „Peter Pan“, „Jedermann“ oder „Die Adams Family“ auf dem Spielplan stehen. Vor allem Musicals – in diesem Jahr „Fame“ – erfreuen sich großer Beliebtheit. Jährlich kommen rund 50.000 Gäste, die sich auch von Schauern nicht abschrecken lassen. „Bei Regen wird lauter geklatscht als sonst. Die Vorstellung fällt nur bei gefährlichen Wetterlagen aus“, so Florian Götz, einst Dramaturg in Bad Gandersheim.

Die traditionsreichen Bad Hersfelder Festspiele setzen auf einen einmaligen Spielort: Die Stiftsruine, in der 1.300 Zuschauer Platz finden, ist die größte romanische Kirchenruine der Welt. Dieses Jahr werden den Besuchern vom 6. Juli bis zum 2. September fünf Schauspiele („Peer Gynt“, „Der alte Mann und das Meer“, „Indien“, „Shakespeare in love“, „Lenas Geheimnis“) sowie zwei Musicals („Hair“ und „Titanic“) geboten.

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