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Archiv-Artikel

Die Perversen sind los

Nicht gegendarstellungsfähig (XVIII): Ein 7-jähriger Junge ist in Berlin von einem 16-Jährigen erschlagen worden

Ein Leiter eines „Anti-Gewalt-Zentrums“ schwadroniert über den mutmaßlichen Mörder: Er habe selten jemand erlebt, an den so schwer ranzukommen gewesen sei. Der Umgang mit solchen Jugendlichen sei zu lasch.

Politiker der „christlichen“ Oppositionspartei fordern härte Gesetze: frühere Strafmündigkeit, Regelanwendung des Erwachsenenstrafrechts ab 18, sofortiges Wegschließen körperverletzungsverdächtiger Jugendlicher: Schluss mit der „Kuschelpädagogik“. Selbst der Innensenator verlangt vom Haftrichter, Leute wie den 16-Jährigen wegzuschließen, wenn sie nach einer Beteiligung an einer Gruppenschlägerei vorgeführt werden.

Der Jugendstadträtin wird vorgeworfen, den sorgeberechtigten, angeblich Alkohol trinkenden Großeltern nicht das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen zu haben. Kiffen wird als Ursache der Tat geoutet. Unisono behaupten alle, die Gewaltbereitschaft der Jugend steige.

Tatsache ist: Es gibt keinerlei Empirie, die das belegt. Belegt ist nur, dass schneller und häufiger angezeigt und strafverfolgt wird. Schon gar nichts spricht dafür, dass der Verzehr von Cannabis Gewaltbereitschaft fördert.

Fest steht: Die Jugendstadträtin durfte den Jungen gar nicht in Gewahrsam nehmen. Es gab keinen Anlass, am Sorgerecht der Großeltern fummeln.

Fest steht, dass der Richter den Jungen nicht verhaften durfte. Es bestand keine Fluchtgefahr. Selbst nach der Tat hat sich der 16-Jährige „ordnungsgemäß“ bei der Polizei gemeldet. Er war jederzeit für die Behörden auffindbar. Dass er ein Tötungsdelikt begehen würde, konnte niemand, schon gar nicht der Richter, vorhersagen. Und wenn es anders gewesen wäre: Dann liegt der Fehler bei der Polizei, die es unterlassen hat, dem Richter die Erkenntnismittel für die „Wiederholungsgefahr“ nachzuweisen.

Wenn dem Wunsch dieser Typen (Politiker, Juristen, Journalisten, Pädagogen, der ganze akademische Pöbel), die sich an der Tat und staatlichen Gewaltfantasien gegen pubertierende Jugendliche delektieren, nachgegeben würde, wären in Zukunft alle jugendlichen Sprayer, alle jugendlichen Körperverletzer, Teilnehmer an Schlägereien, ja Kiffer vorsorglich und nachhaltig wegzuschließen. Was stellen sich diese Perversen vor: Ein Gemeinwesen, dass zum Jungenknast mutiert? Ein Fürsorger, der Geheimnisse ausplaudert, ist sofort aus dem Amte zu entfernen. Wer sich in einer Krise so verhält, wer verrät, was ihm im Rahmen von Sozialpädagogik bekannt geworden ist, ist für die ihm anvertrauten Jugendlichen kein Vorbild, sondern ein öffentlichkeitsgeiler Rechtsbrecher. Die Figuren, die jetzt Gesetzesverschärfungen fordern, sind unanständig: Sie tun so, als gäbe es eine „sichere“ Gesellschaft, um ihr politisches Ränkespiel zu verfolgen.

Die Wahrheit ist: So schlimm die Tat in Berlin-Zehlendorf ist (von der wir übrigens sehr wenig wissen und wo wir dem Boulevard zuletzt vertrauen sollten), so wenig gibt es vor solchen Taten einen sicheren Schutz. Gerade in einer die männliche Jugend vorbeugend kasernierenden Gesellschaft werden Straftaten generiert, von denen wir uns heute noch keine Vorstellung machen können. JONY EISENBERG

Unser Autor ist Strafverteidiger und Presseanwalt in Berlin