piwik no script img

Eine gemeinsame Geschichte

Am Wochenende fand im Haus der Kulturen der Welt die Konferenz „Tiefenzeit und Krise, ca. 1930“ statt, auf der viele der Teilnehmer das multiple Denken des Kunsttheoretikers Carl Einstein beschworen

Paul Klee, (Metamorphosen:) Der Zusammenbruch der biblischen Schlange, 1940 Foto: Foto: Zentrum Paul Klee, Image Archive, Bern

Von Doris Akrap

Zwischen den beiden Weltkriegen herrscht Krise. Davon hat man schon mal gehört. Aber es herrschte auch eine „tragische Ermüdung“, konstatiert die Kunsthistorikerin Susanne Leeb in ihrem Vortrag am Samstag im Haus der Kulturen der Welt. Dort fand am Wochenende die Konferenz „Tiefenzeit und Krise, ca. 1930“ statt, die theoretisch flankierte, was in der momentan am gleichen Ort gezeigten Ausstellung „Neolithische Kindheit. Kunst in einer falschen Gegenwart, ca. 1930“ zu sehen ist.

Im Zentrum der Konferenz wie der Ausstellung stehen die Strategien der künstlerischen Avantgarden, die sich in dieser Zeit des Epochebruchs mit Zugängen aus Philosophie, Ethnologie, Psychologie und Naturwissenschaften verbanden. Zentraler Stichwortgeber dafür ist der Kunsttheoretiker, Autor und Polemiker Carl Einstein.

Anders als Marx’ Mehrwert, Freuds Unbewusstes oder ­Adornos Kulturindustrie sind die Einstein’schen Begriffe heute nicht mal vom Hörensagen bekannt. Immer wieder mal wird der während der Weimarer Republik äußerst prominente jüdische Intellektuelle, der sich 1940 im französischen Exil das Leben nahm, neu entdeckt. Da auch unsere Zeit gerade als von Krisen gekennzeichnet beschreibbar wäre, ist es nur folgerichtig, dass ein Einstein nun hervorgeholt wird.

Einstein wandte sich beispielsweise gegen den damaligen Trend, sich bei der Kunst der Kolonisierten zu bedienen, um dort einen Primitivismus, eine vermeintliche Urkraft zu entdecken, die den ermüdeten Europäern wieder neue Kräfte zuführen sollte. In seinem Buch „Negerplastik“ aus dem Jahr 1915 zeigt Einstein die Werke afrikanischer Künstler als Kunst und nicht als Artefakte aus sakralen oder rituellen Kontexten. Hermann Hesse rezensierte „Negerplastik“ begeistert, da Einstein die afrikanischen Skulpturen mit dem zeitgenössischen Kubismus verglich.

Auch der nigerianische Kunsthistoriker Sylvester Okwunodu Ogbechie würdigte in seinem Vortrag im HKW „Negerplastik“ als Gründungsakt der afrikanischen Kunstgeschichte. Formulierte allerdings auch eine fundamentale Kritik: „Negerplastik“ könne man auch als Bildersturm bezeichnen. Die meisten der 119 Fotos afrikanischer Plastiken in Einsteins Buch seien durch geschickte Beleuchtung weich gezeichnet, das Polychrome der Originale abgeschwächt worden. Auf dem Foto einer Holzschnitzfigur, die einen kongolesischen Nkisi Nkondi, eine religiösen Statuette, zeige, sehe man die Figuren ohne die Dutzenden Metallnägel in der Holzbrust. Dort, wo die waren, seien auf dem Foto in Einsteins Buch nur noch Ritzen im Holz zu sehen. Zudem ist das Foto schwarz-weiß, sodass jede Farbe dieser oft goldschillernden Statuetten, nicht zu sehen sei. Auch Einstein, der ein Linker, ein Antifaschist, ein Gegner von Ausbeutung und Unterdrückung war, so Ogbechie, unterlag also einer Fetischisierung der reinen Form. Auf der Suche nach der formellen Reinheit angesichts der Krise der europäischen Moderne habe er mit „Negerplastik“ eine neue Kunst konstruiert, die mit der afrikanischen nicht viel zu tun gehabt habe. Zudem habe Einstein wichtige afrikanische Künstler unterschlagen, die nicht in sein Konzept der kubistischen Skulpturen passten. Dieses Dilemma hätten Sammlungen wie das Ethnologische Museum in Dahlem noch heute.

Einsteins „Negerplastik“ könnte auch als Bildersturm bezeichnet werden

Auch im letzten Vortrag der Konferenz, den der US-amerikanische Historiker und Ethnologe James Clifford hielt, wurde das Problem der Museen angesprochen. Clifford zeigte ein Foto des Performers James Luna, eines amerikanisch-mexikanischen Indigenen, der sich 1987 selbst als „The artifact piece“ ins Museum von San Diego gelegt hatte, seine Insignien neben sich: Feder, Pfeife, seine Lieblings-Jimi-Hendrix-Platte und sein Lieblingsbuch von William S. Burroughs. Die Darstellung, das Bild vom Wilden, wollte er damit angreifen.

Ständig sei man in Sorge um das Überleben der Indigenen, dabei hätten sie doch überlebt, stellt Clifford fest. Nur nicht so, wie wir uns das vorstellen. Auch die Indigenen lebten nicht einfach außerhalb des Kapitalismus und konservierten eine tradierte Kultur. Das ginge gar nicht. „Die Indigenen sind die Gegengeschichte zur Moderne. Sie sind aber kein Beweis für mythische Ursprungskraft, sondern ein Beweis, dass die Geschichte der Menschheit eine gemeinsame und keine getrennte ist.“ Für diesen „Realismus der Metamorphose“ stehe auch Carl Einstein. Und in einer Zeit, in der sich der Westen nicht mehr als Zentrum der Welt sehen kann, so Clifford, sei das multiple Denken von Einstein besonders zu empfehlen.

Es war dann nicht der Geist von Einstein, der sich im HKW am Ende der Konferenz niederließ, aber der der multiplen Technobeats der Anti-AfD-Parade.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen