: Städtepartnerschaft der anderen Art
Zerfallene Häuser als Chance: Das „Detroit – Berlin: One CircleArt“-Festival im Theater Hebbel am Ufer ist eine Art Kongress der vergleichenden Städteforschung plus Techno-Kulturprogramm. Beschworen wird dabei die legendäre „Berlin-Detroit Techno Alliance“
Von Andreas Hartmann
Wenn im Theater Hebbel am Ufer der viertägige Kongress „Detroit-Berlin: One Circle“ über die Bühne geht, wird in Detroit gerade das Mega-Festival „Movement“ zu Ende gegangen sein. Zig lokale und internationale Stars der elektronischen Musik, manche auch aus Berlin, werden in der amerikanischen Stadt eine Woche lang Partys ohne Ende gefeiert haben.
Logisch, ist ja auch Detroit, die Heimatstadt des Techno, da läuft das eben so, könnte man denken. Doch in Wahrheit wird man wieder bis zum nächsten Movement in einem Jahr warten müssen, bis es in Detroit erneut so richtig abgehen wird und wahrscheinlich wird in den USA mit Techno inzwischen in Las Vegas an einem Wochenende mehr Geld umgesetzt als in Detroit in einem halben Jahr.
Denn seit Amerika vor ein paar Jahren das Feiern zu elektronischer Musik im großen Stil entdeckt hat und die Partyindustrie boomt, geht der ganze Hype ausgerechnet an der Stadt, in der vor über drei Jahrzehnten der Sound geboren wurde, der bis heute in immer neuen Variationen den ganzen Wahnsinn befeuert, weitgehend vorbei. Es gibt kein Detroiter Berghain, das einen florierenden Partytourismus mit sich bringen könnte und um 2 Uhr nachts, wenn sich vor Berliner Clubs langsam die ersten Schlangen bilden, hat in Detroit schon wieder alles zu Ende zu sein, dann ist dort nämlich Sperrstunde.
Die Detroit-Berlin-Konferenz im Hebbel am Ufer will sich nun näher anschauen, wie es zu dieser Situation in Detroit kommen konnte und was geschehen muss, damit die sozial und stadtpolitisch schwer gebeutelte Stadt endlich besser Kapital aus seiner eigenen Historie schlagen kann. Das ganze kommt als eine Art Kongress der vergleichenden Städteforschung plus Techno-Kulturprogramm daher. Beschworen wird dabei die „Berlin-Detroit Techno Alliance“, wie sie auf dem Aufdruck eines T-Shirts des Berliner Clubs Tresor benannt wird, die seit nunmehr 30 Jahren existiert, fast so lange wie es Techno gibt.
Mad Mike auf dem Podium
Alte Recken wie Eddie Fowlkes und Juan Atkins werden auftreten oder bei der Abschlussparty im Tresor auflegen, und man hat es tatsächlich geschafft, Mike Banks alias Mad Mike, das große Mysterium und Urmitglied der legendären Underground Resistance, auf ein Podium zu bewegen, auf dem er aus dem Nähkästchen der Detroiter Technogeschichte berichten wird. Wer zu der Veranstaltung im original UR-Hoodie kommt, sollte eigentlich freien Eintritt bekommen.
Es ist eine einzigartige Städtepartnerschaft, die hier gefeiert und gleichzeitig kritisch beleuchtet wird. Ende der Achtziger begann Mark Ernestus vom Berliner Plattenladen Hardwax damit, den „New Dance Sound of Detroit“, wie er auf einer frühen Techno-Compilation genannt wurde, nach Berlin zu importieren. Die Produzenten der Musik arbeiteten in ihrer Heimatstadt nebenbei als Taxifahrer oder auf dem Bau, in Berlin aber galten sie als Verkünder einer musikalischen Revolution, wovon den erstaunten Technopionieren von Ernestus berichtet wurde.
Gleich nach der Wende lud Dimitri Hegemann Woche für Woche die Produzenten und DJs aus Detroit in seinen neuen Club Tresor im ehemaligen Ostteil der Stadt ein und die Gäste und ihr musikalischer Input formten das Berlin der Neunziger bis heute entscheidend mit. Ohne Leute wie Juan Atkins und Mad Mike, denen die Stadt Berlin eigentlich den Roten Teppich ausrollen müsste, wäre der Aufstieg Berlins zur weltweiten Party- und Techno-Hauptstadt so vielleicht nie vollzogen worden. Allesamt übrigens Afroamerikaner, was in einer heutzutage hauptsächlich von weißen Techno-Superstars geprägten Szene absurderweise immer mehr in Vergessenheit gerät.
Segregiertes Detroit
Die Folgen einer neuen Form von Tanzmusik und die Möglichkeit, diese im Nach-Wende-Chaos auf Raves, scheinbar ungenutzten Häusern oder zwischengenutzten Clubs zur Entfaltung zu bringen, haben für die weltweite Anziehungskraft Berlins gesorgt, während in Detroit selbst dagegen alles weiter den Bach runter ging. Die Stadt hat ein enormes Rassismusproblem und ist nach Hautfarben segregiert. Die Weißen, die es sich leisten können, sind in den Speckgürtel der Stadt gezogen, die Schwarzen blieben in der Innenstadt, die in den letzten Jahren immer stärker zerfallen ist, wo leer stehende Häuserblocks verrotten und soziale Strukturen erodieren.
Noch in den Sechzigern hatte Detroit, einst das Herz einer gut gehenden amerikanischen Autoindustrie, über eineinhalb Millionen Bewohner, inzwischen sind es nicht einmal mehr die Hälfte. Autos werden hier nicht mehr produziert, vor fünf Jahren war die Stadt offiziell pleite. Detroit ist das prototypische Beispiel für das Horrorszenario einer niedergehenden schrumpfenden Stadt.
Schon seit ein paar Jahren wird nun seitens Berliner Akteure versucht, etwas dazu beizutragen, um der Stadt im Bundesstaat Michigan, der man doch so viel verdankt und deren kulturelles Erbe, der Techno, man mit offenen Armen adoptiert hat, wieder auf die Beine zu helfen, den Kulturtransfer stärker in beide Richtungen zu lenken. Tresor-Gründer Dimitri Hegemann hat beispielsweise das Netzwerk Detroit-Berlin-Connection mit ins Leben gerufen und er möchte, so sagt er, der gebeutelten amerikanischen Stadt nun etwas zurückgeben.
Zerfallene Häuser in der Innenstadt, so eine der Ideen, könnten auch eine Chance sein. Auch der Tresor hat schließlich in solch einem Haus seinen Ursprung. Detroits Bürgermeister war auf Einladung des Netzwerks sogar schon hier, um zu sehen, wie man mit Techno eine ganze Stadt zum Blühen bringen kann.
Eine Stadt, die jedoch bald zu teuer für den ganzen Techno-Spaß werden könnte, wenn es hier so weiter geht mit den Mieten- und Immobilienpreisen. Auch darüber wird geredet werden beim Festival „Detroit-Berlin: One Circle“.
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