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Archiv-Artikel

Linksfraktion fiebert schon

AUS BERLIN UND DRESDENROBIN ALEXANDER

Es war ein Treffen ohne Öffentlichkeit. Einen Tag bevor sich alle Kameras auf Oskar Lafontaines ersten Auftritt bei der PDS richteten, kamen zum ersten Mal die zusammen, die vom Aufschwung der Linkspartei als Erstes profitieren werden: 51 Kandidaten – so viele werden in den Bundestag einziehen, wenn die Linkspartei tatsächlich 8 Prozent erreicht. Der umtriebige Wahlkampfleiter der Linkspartei, Bodo Ramelow, hatte sie ins Berliner Estrel-Hotel bestellt. Die interessanteste Fraktion des nächsten Bundestages sollte sich selbst kennen lernen.

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Der Wirtschaftspolitiker: Die Fraktion gibt es noch nicht, aber ihre Wirtschaftspolitik kann man schon als Buch kaufen: Das „Memorandum“ ist eine Art jährliches Gegengutachten zu den etablierten Ökonomen, das seit 1975 von der Bremer „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“ erstellt wird: höhere Löhne, Ausbau der Mitbestimmung, mehr öffentlicher Dienst. Von der Memorandum-Gruppe werden mit Herbert Schui und Axel Troost gleich zwei Wissenschaftler zu Politikern werden.

Troost, 47, trennen vom telegenen Berufspolitiker ein Vollbart und ein dicker Bauch, aber er ist dennoch ein Profi: Er leitete 2004 eine Zusammenkunft im Berliner DGB-Hauptquartier, die als Geburtsstunde der Wahlalternative gilt. Als Vorstand der Wahlalternative hat er mit der PDS um Listenplätze gefeilscht und auch für sich etwas herausgeschlagen: Platz zwei in Sachsen, obwohl die dortige WASG eigentlich überhaupt nichts mit der PDS zu tun haben wollte.

Zwar hält Troost die PDS-Sparpolitik in Berlin für „schädlich“ und das PDS-Wahlprogramm kann er im Bereich Wirtschaftspolitik „nicht Wort für Wort ernst nehmen“. Aber das sind nur Details: Troost wähnt nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik generell im Aufwind: „Das Memorandum als Buch war 2005 schon im Juli ausverkauft“, sagt er erfreut. „Wir sind bisher noch nie ausverkauft gewesen.“

Wenn er Sprecher der Fraktion für Wirtschaft, Arbeit und Finanzen würde, wäre „das Memorandum im Bundestag angekommen“, schwärmt er. Mindestens einmal will er die aktuelle Ausgabe sogar hochhalten, wenn er redet. Den Einwand, das sei im Parlament verboten, wischt Troost beiseite: „Als Neuling hat man bestimmt auch im Bundestag einen Schuss frei.“

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Dafür dass es die Fraktion noch gar nicht gibt, ist sie schon gut organisiert. Zwei Wochen vor der Wahl ist eigentlich alles klar: Es soll zwei Vorsitzende geben, drei parlamentarische Geschäftsführer, sechs Stellvertreter. Nach der ersten Reihe (Lafontaine und Gysi) wird quotiert. Darauf hat vor allem Gysi bestanden – auf sanften Druck seiner Ehefrau Andrea. Fünf Mitarbeiter arbeiten schon jetzt für die Fraktion. Eine Softwarefirma bastelt am Fraktions-Intranet. Geschäfts-, Finanz- und Strukturordnung liegen als Entwürfe bereits in der Schublade.

Als die erste grüne Fraktion 1983 in den Bundestag einzog, kam sie mit Sonnenblumen in der Hand und der Idee, den Parlamentarismus zu überwinden oder mindestens radikal zu verändern. „Das war eine andere Zeit“, sagt PDS-Parteimanager Ramelow: „Wir setzen nicht auf den Charme des Chaos. Wir setzten auf Professionalisierung.“

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Die Radikale: Wenn jemand weiß, wie neue Fraktionen funktionieren, dann Ulla Jelpke. Die 54-Jährige zog in den 80ern mit der ersten grün-alternativen Fraktion ins Hamburger Stadtparlament ein und 1990 mit der PDS in den Bundestag. Seit drei Jahren arbeitet die hagere rothaarige Frau bei der linksradikalen Zeitung Junge Welt: „Eigentlich habe ich immer und überall das Gleiche gemacht“, sagt sie: „die Grundrechte der Frauen verteidigt, Flüchtlingspolitik und antifaschistische Politik.“ Stolz ist Jelpke darauf, als Parlamentarierin die meisten Anfragen gestellt zu haben: „Ich war die Nervensäge des Innenministeriums.“ Sie hat vor allem unsere Nerven zersägt, sagt die PDS-Führung dazu hinter vorgehaltener Hand. Mitglied der Partei war sie jahrelang nicht, sie ist erst jetzt eingetreten. Jelpke versteht sich in konsequenter Opposition nicht nur zu diesem Staat, sondern auch zu den so genannten Reformern in der eigenen Partei: Leser ihrer Zeitung hatten in den vergangenen Jahren nicht selten den Eindruck, die PDS sei als Regierungspartei schon Teil des „neoliberalen Mainstream“ geworden, den sie als Linkspartei jetzt bekämpfen will. Auch zu Lafontaine geht Jelpke schon jetzt auf Konfrontationskurs: „Die Linkspartei hat Lafontaine als sozialdemokratisches Zugpferd, das bringt zweifellos Prozente. Aber sie hat auch Leute wie mich, die sich mehr von der außerparlamentarischen Bewegung als vom Parlamentarismus beeindrucken lassen.“

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Die bunten Vögel in der neuen Fraktion werden eher die Alten sein. Viele Positionen, die auch in der Linken eigentlich nicht mehr gesellschaftsfähig sind, wird die Linkspartei wieder in den Bundestag tragen. Zum Beispiel, wenn der Völkerrechtler Norman Paech, 67 (Platz 1 in Hamburg), Israel eine Mitschuld am Antisemitismus gibt oder die 71jährige Bremer Kandidatin Antonie Brinkmann „Freiheit für Milošević“ fordert. Einige fortschrittliche PDSler fürchten ein linksnationale Strömung um den ehemaligen SPDler und Stasi-Informanten Dieter Dehm („Monopole wollen den nationalen Sozialstaat unterhöhlen“) und den übergetretenen Alt-Sozialdemokraten Ulrich Maurer („gegen Mediokratie und Plutokratie“).

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Der Sozialdemokrat: Dietmar Bartsch, 47, war schon mal Geschäftsführer der Partei, jetzt ist er nur noch Geschäftsführer ihrer Zeitung: Das Neue Deutschland bejubelt zurzeit den Wiedereinzug der neuen Linkspartei. Bartsch ist noch vorsichtig: „Modern, sozial und kompetent müssen wir sein. Bisher werden wir vor allem als sozial wahrgenommen.“ Bartsch gehört zu der Generation, die eigentlich längst die PDS führen sollte. Doch ohne Biskys Autorität und Gysis Charme ging es bisher nicht.

Ein altes Vorurteil über Genossen wie Bartsch lautet, sie seien nur nicht in der SPD, weil die nach der Wende keine SED-Kader haben wollte. Das Teile der SPD jetzt zu ihm kommen, freut Bartsch: „Das sind Leute, die jahrelang praktische Politik gemacht haben – natürlich sind das meine Bündnispartner.“ Über den Erfolg der neuen Linkspartei entscheide, glaubt Bartsch, vor allem „Professionalität und Geschlossenheit“. Auch da hofft er auf die Neuen: „Wir, die aus der SED kamen, haben uns oft nicht getraut, Geschlossenheit zu fordern. Und durchzusetzen.“

Als „Utopist“ kritisiert Bartsch Angela Merkels Steuerprofessor Kirchhof. Dass dessen Vorschläge unsozial seien, schiebt er pflichtgemäß hinterher. Auch sonst klingt er anders als seine neuen Genossen von der WASG, wenn er sagt „Es wird kein Zurück zum Sozialstaatskompromiss der 70er-Jahre geben.“

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Das Organisationsfieber, mit dem die neue Fraktion vorbereitet wird, ist eine chronische PDS-Krankheit. Aber es ist vor allem auch eine psychologisch verständliche Übersprungshandlung: Die PDS ist nervös, denn daran, dass sich die Troost, Jelpke und Bartsch vertragen, hängt die Zukunft der Partei. Gibt es ernsten Krach, ist die Fusion mit der WASG bedroht. Die eigentliche Gefahr ist dabei auch durch noch so gute Organisation nicht eindämmbar: Wie gut arbeiten Lafontaine und Gysi wirklich zusammen? Und: Wie lange?

Dabei könnte der entscheidende Faktor sein, welche Konstellation die Linkspartei im Bundestag antrifft. Viele in der PDS, die sich Sorgen machen, zeichnen zwei Szenarien.

1. Die SPD regiert in einer großen Koalition unter Merkel. Die Linkspartei opponiert. „Daran würden Oskar und Gregor lange gemeinsam Spaß haben“, hofft ein Insider.

2. SPD und PDS konkurrieren in der Opposition. Dann könnten sich schnell Fronten bilden: Lafontaine, die ehemalige Sozialdemokraten und die Radikalen, die vor allem die SPD vorführen wollen. Auf der anderen Seite: Gysi und die Pragmatiker, die sich über Ostzuständigkeit und Kompetenz profilieren wollen und im Osten weiter auf Rot-Rot setzten.

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Die Fotogene: Katja Kipping, 27, wird auf Parteitagen von der Regie zwischen Gysi und Lafontaine platziert: Sie soll auf allen Fotos zu sehen sein. Die Führung der PDS neigt dazu, den Mangel der Partei an Frauen und Jugend durch das Protegieren junger und sehr junger Frauen zu auszugleichen. In Sachsen zog eine 18-Jährige in den Landtag ein, in Hessen kandidiert jetzt eine 20-Jährige für den Bundestag.

Das löst regelmäßig Spott aus (Handelsblatt: „Girl unter Greisen“), aber auch harte, innerparteiliche Gegenreaktionen, wie Kipping berichtet: „Eine meiner schlimmsten Erfahrungen war, die Häme und Bösartigkeit von Genossinnen im Alter meiner Mutter ertragen zu müssen“, sagt sie. Dabei hat sich Kipping, deren Lieblingsprojekt das bedingungslose Grundeinkommen ist, im Landtag und im Parteivorstand längst ein Renommee erarbeitet. Sie steht für ein kleine Gruppe junger PDSler in der kommenden Fraktion, die zwar am Ziel Sozialismus festhalten, aber die PDS dennoch behutsam modernisieren. Kipping und ihre Verbündeten haben erreicht, dass im Wahlprogramm der Begriff „Vollbeschäftigung“ nicht auftaucht. Sie will weg von der „paternalistischen Sozialpolitik“: „Die Zwangskriterien bei Hartz IV sind ebenso ein Skandal wie die 333 Euro.“

Noch in den 90er-Jahren kam die emanzipative Strömung in der PDS vor allem von abgefallenen Westgrünen. Heute ist es genau umgekehrt. Junge, meist ostdeutsche Politiker verteidigen die linke Moderne gegen orthodoxe Westlandesverbände. Kippings Westgenosse Jan Korte, 28, übersiedelte gar von Niedersachsen nach Sachsen-Anhalt, um eine Basis zu gewinnen.

Kipping teilt weder die Hoffnung ihrer Vorstandskollegen, was die Fusion mit der WASG angeht, noch glaubt sie, dass die Zukunft der Linkspartei mit der Qualität der neuen Fraktion entschieden wird. Sie, die auch in der Fraktion vorn platziert werden wird, strebt keinen Sprecherinnenposten an. Sie möchte lieber ein Büro gründen: „Für den Kontakt mit den außerparlamentarischen Bewegungen.“