Abenteurer Verwandlung

An der Ernst-Busch-Hochschule begann die Freundschaft von Paul Schröder (Schauspieler) und Antú Romero Nunes (Regie), am Gorki Theater ihr Erfolg. Beim Theatertreffen kann man sie wieder erleben in „Die Odysee“

Paul Schröder und Thomas Niehaus in „Die Odyssee“ Foto: Armin Smailovic

Von Robert Matthies

Homers Odysseus ist der Archetyp des erfindungsreichen Geschichtenerzählers, ein sich immer wieder Wandelnder voller Widersprüche: grausamer Kriegsherr und schöngeistiger Reisender durch die Mythenwelt, treuer Ehemann und treuloser Liebhaber zugleich; getrieben von der Sehnsucht nach Heimkehr, strandet er immer wieder an neuen Ufern. Für James Joyce war der antike Held der einzige wirkliche Mensch unter den Großen der Weltliteratur: ein „allround character“ und „Spiegel des Lebens“. Ein dichtes Knäuel an Deutungen hat die Rezeptionsgeschichte um die Figur und ihre Irrfahrt gestrickt. Was ist dem heute hinzuzufügen?

Antú Romero Nunes, Hausregisseur am Hamburger Thalia Theater, und die beiden Schauspieler Paul Schröder und Thomas Niehaus begegnen dem Mythos mit ihrem eigenen Erfindungsreichtum und ihrer eigenen Wandlungsfähigkeit und bringen das Epos als verspieltes Kammerspiel auf die Bühne. In „Odysseus. Eine Irrfahrt“, eingeladen zum Theatertreffen, kommt Homers Held nur in Erinnerungsbildern und Fragmenten vor. An seinem Grab treffen seine Söhne, die Halbbrüder Telemachos und Telegonos, erstmals aufeinander, um das Erbe anzutreten – aber welches Erbe? Welchen Erzählungen des übermächtigen Vaters, welchen über ihn kann man trauen?

Und so begeben sie sich auf eine furiose Theater-Odyssee auf den Spuren des Verblichenen. Dass man nicht allzu ehrfürchtig mit dem Erbe umgehen soll; dass es nicht um Gedenken, sondern um befreiende Neuerfindung geht, macht schon die putzige Kunstsprache klar, in der die beiden sich bis auf einen Ausflug ins Altgriechische unterhalten: ein Kauderwelsch aus Skandinavisch, Englisch und Deutsch, das man irgendwie noch versteht.

Mit umso größerer Lust schaut man den phänomenal aufeinander eingespielten Schauspielerpaar beim Entdecken und Erfinden, beim Figurieren und Fabulieren zu. Wie das Mythische in Metamorphosen denkt, lassen sie Szenen voller Anspielungen inein­andergleiten und messen mit virtuosem Slapstick und Situationskomik, mit Musikeinlagen, allerlei Kunststückchen, Taschenspielerei und Budenzauber den Raum der Odyssee aus.

Dass der präzise gesetzte Abend dabei oft fast wirkt, als werde er gerade erst erfunden, hat mit der besonderen Konstellation zu tun, in der er entstanden ist. Eine Ensemblearbeit, für die Schröder und Niehaus die Szenen in stundenlangen Improvisationen entwickelt haben. Der Regisseur Nunes kann sich ganz auf die sensationelle Wandlungsfähigkeit der beiden verlassen.

Auch weil Schröder und Nunes seit Jahren ein großes gegenseitiges Vertrauen aufgebaut und, wie Schröder sagt, eine „produktive Gewohnheit“ entwickelt haben. Seit dem gemeinsamen Studium an der Ernst-Busch-Hochschule in Berlin arbeiteten sie immer wieder zusammen, erst am bat-Studio, dann am Maxim Gorki Theater. 2012 ließ Nunes Schröder dort allein auf leerer Bühne den ersten Teil seiner Inszenierung von Schillers „Die Räuber“ bestreiten. Eine Stunde lang lotete Schröder da virtuos Darstellungsmöglichkeiten des Franz aus, spielte Rollen an, sprang in sie herein und wieder heraus. Ein mit allen mimischen und gestischen Wassern gewaschener Theatergeschichtenerzähler.

Ab 2011 gehörte Paul Schröder zum Gorki-Ensemble, später folgte er dem Intendanten Armin Petras nach Stuttgart. Weil er dort aber seine Tochter zu sehr vermisste, zog es ihn 2015 nach Hamburg, wo er am Thalia Theater seitdem wieder mit Nunes arbeiten kann. „Ich habe eine Stadt gesucht, wo ich Schauspieler und Vater sein kann“, sagt der Alleinerziehende. Und dass es schon wahnsinnig anstrengend sei, den vollen Theaterkalender mit dem Familienleben zu vereinen.

Nunes und Schröder haben großes Vertrauen aufgebaut und eine „produktive Gewohnheit“ entwickelt

Sein Talent für Körperkomik und bildhafte Sprache hat Schröder früh entdeckt. 1982 in Anklam geboren und in Erfurt aufgewachsen, war er als Schüler von Buster Keaton, Otto Waalkes und Loriot begeistert, spielte auf Schulfesten und Privatfeiern Sketche und gründet 1997 mit seinem Kumpel Steffen Wilhelm die Kleinkunstgruppe suþcultura, später wird daraus das Comedy-Duo Paul und Willi. Das gibt’s noch heute, vor zwei Jahren erst haben die beiden mit ihrer Geräuschpantomime den NDR Comedy Contest gewonnen.

Nach dem Abitur am humanistischen Gymnasium, wo sein Griechisch- und Lateinlehrer seine Begeisterung für antike Stoffe wecken kann, sei schnell klar gewesen, dass er sich für ein Schauspielstudium bewerben wollte, erzählt Schröder. Aber niemand wollte ihn aufnehmen, also schrieb er, wie schon als Schüler, weiter Drehbücher, gründete mit Freunden ein Filmdienstleistungsunternehmen, machte Comedy. 2005, gerade Vater geworden, bewarb er sich noch ein letztes Mal als Schauspielerschüler und wurde angenommen.

In Hamburg habe es dann auch zwischen Niehaus und ihm „auf eine Art gefunkt“, sagt Schröder. Privat gehen die beiden angeln und haben darüber in der Regie von Johanna Witt einen kleinen Theaterabend voller skurriler Komik gemacht. Beim Regie-Festival „Radikal jung“ des Münchner Volkstheaters im vergangenen Sommer gab’s dafür den Publikumspreis.

Es sind solche Konstellationen, in denen Schröder seine große Wandlungsfähigkeit am besten zur Geltung bringen kann. Denn komische und ernste Nuancen einer Figur: Schröder spielt alles mit einer großen Ernsthaftigkeit. „Wenn man das so hinblödelt, dann ist das durchschaubar“, sagt er. Ein Clown zu sein bedeute aber nichts anderes als Schauspielerei: mit einer verspielten Offenheit und einer Entdeckerlust auf die Bühne zu kommen, unvoreingenommen zu reagieren, dem Spiel des anderen Raum zu lassen, wach zu bleiben und sich auf alle Nuancen einzulassen. Und wenn man dann auch Widersprüche, die Schwächen einer Figur und ihr Scheitern nicht versteckt, entsteht ein Spiegel des Lebens auf großer Irr- und Entdeckerfahrt.

„Die Odyssee“ beim Theatertreffen, im Haus der Berliner Festspiele, Seitenbühne, 17./18. und 20. Mai