Der Tanz der Sprechblasen auf dem Bildschirm

Chats, Tweets und Hashtags: Olivia Wenzel beim Stückemarkt des Theatertreffens

Von Katrin Bettina Müller

Das Schreckliche ist ja jetzt auch immer nur einen Klick weit entfernt. 1 Deep Sea Voice, so nennt sich eine der nicht näher identfizierbaren Stimmen in dem Dramentext „I yottabyte leben“ von Olivia Wenzel, sendet diese Botschaft: „Es gibt so viele Leichen auf der Welt. Schade, dass die alle getrennt voneinander herumliegen oder im Wind verstreut werden. Schade, dass es kein Foto gibt, auf dem wir alle, also alle Toten dieser Erde, gemeinsam versammelt sind. Das wäre das größte, morbideste Selfie aller Zeiten.“

Ein Satz, bei dem man schlucken muss. Aber es gibt keine Pause zum Nachdenken vor dem nächsten Wisch. Wisch über den Screen, den alle Schauspieler in dieser szenischen Lesung in der Hand halten. Das tun sie zum einen, weil der Text, der auf dem Stückemarkt des Theatertreffens im Foyer des Berliner Festspielhauses vorgestellt wird, nur kurz geprobt wurde vor der Präsentation. Das tun sie aber auch, weil es dem Stück entspricht, das Dialoge, Handlungen, Beziehungen, ja selbst Personen kaum noch kennt, ist doch jeder digitale Texteintrag mit einem Kunstnamen versehen. Auch wenn die sechs SchauspielerInnen noch leiblich anwesend sind und verstreut im Publikum sitzen, sodass man die Körper zu den Stimmen nicht gleich orten kann, so sind ihre Rollen doch mehr oder weniger körperlos. Figuren mit sehr viel Mitteilungsdrang und trotzdem ohne greifbare Identität.

1 Deep Sea Voice zum Beispiel ist eine eher gespenstische Existenz. Ertrunken und gestorben schon einmal im Mittelmeer, ertrunken aber auch in einer Flut von Nachrichten und Bildern über die dort Gestorbenen, eine Stimme, die mit dem Gesehenen und Gelesenen so sehr verschmilzt, so davon aufgesogen wird, dass sie außerhalb dessennicht mehr zu finden ist. Empa­thische Teilhabe bis zu Selbstauf­lösung. Und doch in manchen Formulierungen von einem Betroffenheit böse kommentierenden Zynismus, wie man sich ihn nur von außen kommend denken kann, von den Beobachtern der Beobachter.

Andere Protagonisten sind Glamsquad Angel, die einst siebenhundert Videos über sehr intime Dinge ins Netz stellte, Tlaus Tleber, der mit Buzzfeeds protzt, der Kleine Troll, der fiesen Beschimpfungen merkwürdige Belehrungen folgen lässt. In dieser Welt der geteilten Botschaften und meinungsfreudigen Kommentare, in diesen selbstreferenziellen Loops bekommt man nur schwer ein Bein auf die Erde. Weshalb Glamsquad Angels Traum, als der Akku endlich leer ist, dass es irgendwo auf der Welt jemand geben könnte, der sie in den Arm nimmt, ziemlich gut nachzuvollziehen ist.

Olivia Wenzel, 1984 in Weimar geboren, hat schon mehrfach an Autorenwettbewerben teilgenommen, manchmal auch gewonnen. Am Deutschen Theater, am Gorki Theater und am Ballhaus Naunynstraße gab es schon Stücke von ihr. Ihr Text „1 yottabyte leben“ hat ein ziemlich großes Potenzial, das Internet als einen Ort zum Fürchten auszumalen, in dem Berührungen und Bewegungen sich immer mehr auf das Wischen über den Bildschirm reduzieren. Und an dem doch uferlos über den Körper gesprochen wird, über seine Öffnungen und seinen Ausfluss, ein Eindringen und Besetzen in Bildern und Worten, die nicht viel übrig lassen.

Die Regisseurin Nora Schlocker hat die szenische Lesung eingerichtet. Fast denkt man, dass das Vorlesen der Textmitteilungen aus Chats, Tweets und Hashtags der einzige Weg der Inszenierung dieser Begegnung von Sprachblasen ist. So wird es das Stück trotz inhaltlicher Stärke auf der Bühne nicht leicht haben.

Die szenische Lesung von Texten ist im Stückemarkt leider auf drei Aufführungen geschrumpft, die Autoren kommen aus Deutschland, Österreich und Israel. Die Lesungen stehen neben zwei Gastspielen und vielen Workshops. Das verleiht dem Theatertreffen zwar einerseits Campus-Atmosphäre mit viele jungen Leuten, deren Schildchen sie als kreative Mitarbeitende ausweisen. Aber die Plattform taugt so nicht mehr dazu, wenigstens eine Handvoll neuer Autoren kennenzulernen.