: Spielerisch lernen
Edutainment verspricht Bildungsfortschritte ohne große Mühen. Das klassische Schulbuch aus Papier wird dazu von den Verlagen zu einer „medialen Lernlandschaft“ umgebaut
Von Manfred Ronzheimer
Lernen, ohne dass man es merkt. Das ist von jeher ein Traum von Schülern, gelegentlich auch von Lehrern. Neue Lehrformate des edutainment wollen die Wissensvermittlung vor allem an die Generation der digital natives herantragen. Ein Trend, der inzwischen auch die klassischen Schulbuchverlage erfasst hat. Die Wort-Erfindung edutainment – eine Verknüpfung von education und entertainment – kann allerdings darüber hinwegtäuschen, dass es das spielerische Lernen auch vor dem Anbruch der Digital-Ära schon gab. Generationen junger Fernsehzuschauer sind mit den Erklärfilmen der „Sesamstraße“ groß geworden. Der deutsche Ableger „Die Sendung mit der Maus“ läuft heute noch und macht in spielerischen Kurzfilmen die Vorgänge und Gesetzmäßigkeiten in Natur und Technik auf unterhaltsame Weise verständlich.
Gleichwohl ist die Digitalisierung auch im Schulbereich auf dem Vormarsch, wie vor einigen Wochen auf der Bildungsmesse Didacta in Hannover zu erfahren war. Die Pädagogen dort erhoben allerdings den Zeigefinger. „Neue Technologien verbessern die Bildungsqualität nicht automatisch“, wandte Wassilios E. Fthenakis, Präsident des Didacta-Verbandes der Bildungswirtschaft, kritisch ein. „Die Bildung in der digitalen Welt gelingt nur, wenn die Technik der Pädagogik folgt. Wir brauchen deshalb eine konstruktiv-kritische Debatte über die Digitalisierung im Bildungsbereich.“ Damit die Chancen der Digitalisierung für den Bildungsbereich besser genutzt werden können, ist der Bildungsverband eine Kooperation mit einer IT-Forschungseinrichtung eingegangen, nämlich dem Hasso-Plattner-Institut (HPI) in Potsdam. „Gemeinsam mit dem HPI werden wir daran arbeiten, Inhalte und Technologien so zusammenzufügen, dass sie Bildungsprozesse stärken“, erklärt Fthenakis.
Das klassische Schulbuch aus Papier wird von den Verlagen zur „medialen Lernlandschaft“ umgebaut. Auf der Didacta zeigte der Stuttgarter Klett-Verlag die neue Bandbreite digitaler Lehr- und Lernmaterialien. Sie reichen von webbasierten Diagnoseprogrammen, Erklärfilmen und Apps bis hin zu 3-D-Animationen, Übungsaufgaben mit Feedback-Funktion und Selbsteinschätzungs-Tests. „Weitere Medienformate werden folgen“, kündigte Klett-Verlagsleiter Ilas Körner-Wellershaus an. Darunter ein „Visual Learning Tool“ zur Darstellung von komplexen und abstrakten Fachinhalten über interaktive, dreidimensionale Modelle.
Noch stärker kommt der Spielfaktor im außerschulischen Bereich zur Geltung. Der Markt für Computer- und Videospiele – und mit ihm auch die Edutainment-Angebote – wächst kontinuierlich. Hierzulande stieg der Umsatz 2017 um satte 15 Prozent auf 3,3 Milliarden Euro. „Der Games-Markt entwickelt sich bereits seit vielen Jahren so dynamisch wie kein anderer Medien- und Kulturbereich – sowohl weltweit als auch in Deutschland“, sagt Felix Falk, Geschäftsführer des Wirtschaftsverbandes der deutschen Games-Branche, „game“. Der große Umsatzschub rührte allerdings durch den Verkauf neuer Spiele-Konsolen und Games-Blockbuster, nicht prioritär durch Bildungsspiele.
Die Berliner Werbeagentur Triad hat sich mit dem Bereich Edutainment einen neuen Schwerpunkt gegeben. „Edutainment als gesellschaftlicher Trend ist aktueller denn je“, erklärt das Unternehmen auf seiner Webseite. „Denn hier vereinen sich zwei dynamische Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zu einem neuen Megatrend: der Siegeszug der Freizeitgesellschaft einerseits und der steigende Stellenwert von Bildung als Schlüsselwert andererseits.“ Erfolgreiches Edutainment, so die Triad-Devise, „baut auf Geschichten, die nicht nur emotional begeistern, sondern auch nachhaltige Erfahrungen und Einsichten bieten.“ Zu den größeren Edutainment-Projekten der letzten Jahre zählten die Gestaltung eines Science-Centers in Saudi-Arabien, der „King Salman-Wissensoase“ in Riad, und die interaktiven Exponate auf dem Wissenschafts-Schiff „MS Wissenschaft“ im Rahmen des Wissenschaftsjahres der Bundesregierung.
Alles paletti in der schönen neuen Bildungswelt? Von wegen, meldete sich der Philosoph Alexander Grau als Kolumnist der Zeitschrift Cicero anlässlich der Frankfurter Buchmesse zu Wort. „Bisher fehlt, trotz vieler Forschungsmilliarden aus entsprechenden Quellen, jeder Hinweis auf die segensreiche Wirkung digitaler Pädagogik“, so sein Memento. Lernpsychologisch sehr viel plausibler sei, dass der klassische Vis-à-vis-Unterricht an der Kreidetafel in Wirklichkeit das didaktisch überlegene Konzept sei. Schon wiesen vermehrt erziehungswissenschaftliche Studien darauf hin, wonach digitale Lernmethoden „signifikant schlechtere Lernergebnisse“ zur Folge hätten. Das Fazit von Digital-Skeptiker Grau: „Nur Naivlinge glauben, dass mehr digitales Edutainment vertieftes Lernen begünstigt“.
Der Bildungsstreit ist im Gange. Vielleicht wäre auch mal ein Thema für ein kontroverses Edutainment-Game.
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