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Alchemie ohne Mummenschanz

In der Tiefe des Raums: Carsten Nicolais technizistisch anmutende Installation „tele“ in der Berlinischen Galerie lüftet das Sehen durch die Magie des Leuchtens und Zischens

Von Robert Mießner

Spielzeug ist nicht an Alter und Größe gebunden. Und so nimmt in der Eingangshalle der Berlinischen Galerie eine Installation des 52-jährigen Künstlers Carsten Nicolai den 45 Meter langen, 10 Meter hohen und 8 Meter breiten Raum zwar nicht vollständig ein, doch weiß sie sich in ihm zu behaupten. Zu sehen sind zwei fast 3 Meter hohe Spiegelskulpturen in Form eines archimedischen Körpers, also geometrischer Gebilde von besonderer Regelmäßigkeit. Hier bestehen sie aus einem äußeren Sechseck, einem viereckigen Kranz und einem inneren Sechseck. Silbrig stehen sie auf einem ebenmäßigen Quader­thron. Zwei glatte, kühle Gebilde, doch haben sie ein Zyklopenauge, Herz und Hirn.

Die beiden Objekte könnten nach Industriestandard gefertigte, überdimensionierte Bienenwaben sein– mit einem Extra: Aus ihrer Mitte schicken Fotozellen grüngelbe Laserstrahlen hin und her, deren Impulse im Gegenüber die Strahlen wiederum neu auslösen. Wer den Kopf geneigt hält, wird feststellen, wie sie sich dezent in den Lauf der Lichtschienen an der Hallendecke einfügen und die Staubpartikel der Luft sichtbar machen. Irgendwann meldet sich der Wunsch nach einem Schloss, in dessen Wandelhalle sich dieser Kosmos aufbauen ließe.

Im echten Spielzeug ist ein Ernst versteckt; der muss nicht bleischwer sein. Damit er sich einstellt, empfiehlt es sich, mehrmals die Installation aus beiden Richtungen abzulaufen und zu warten, wie die Fragen anklopfen. Was eigentlich sieht ein Spiegel im Spiegel, wäre eine davon; und wie es sei kann, dass die Laserstrahlen, potenzielle Schneidwerkzeuge immerhin, hier zwei Körper verbinden, die andere. Flieht uns das Licht, oder kommt es auf uns zu? Die Frage stellt sich, egal von wo betrachtet wird. Später dann melden schießen die Kindheitserinnerungen, als Spiegel und Taschenlampe von Fenster zu Fenster grüßten; als aus zwei Plastikbechern, einem Baumwollfaden und einer Nadel, ein Telefon wurde. Carsten Nicolais Installation heißt „tele“, im Griechischen schlicht „fern“. Alltägliche, moderne Insignien verwenden die Vorsilbe: Telekommunikation, Telegraphie und Teleskop. Sie ruft weit zurück, zu Telemachos, dem Sohn des antiken Fernfahrers Odysseus und der Königstochter Penelope; zu Telegonos, dem von Homer nicht erwähnten Sohn desselben Odysseus mit der Zauberin Kirke. Allerhand also, was ein Objekt des eher wissenschaftlich-analytisch daherkommenden Künstlers Nicolai da ins Schwingen bringt. Ein Feedback, das des Geräuschs nicht bedarf.

Mit Nicolais Ausgangsthese werden freilich nicht alle Besucher vertraut sein: „tele“ verweist auch auf eine Besonderheit der Quantenverschränkung. Als „spukhafte Fernwirkung“ bezeichnete Albert Einstein das Phänomen, dass sich zwei räumlich voneinander getrennte Quantensysteme in einem gemeinsamen Zustand befinden: Zwei Teilchen sind so miteinander verbunden, dass sich Veränderungen an einem der beiden, unmittelbar und ohne zeitliche Verzögerung, auf den Zustand des anderen auswirken – als gäbe es eine telepathische Verbindung zwischen den beiden. Wohlgemerkt, Einstein nannte das „spukhaft“, doch muss es sich dabei nicht um schlimmen Zauber handeln. Im Gegenteil steckt darin und in Nicolais technizistisch anmutendem Aufbau etwas sehr Menschliches. Viele Duette, Dialoge sind es, die der Elektronikmusiker Carsten Nicolai, geboren in Karl-Marx-Stadt, dem heutigen Chemnitz, über die Jahre für sein Label Raster:Noton einspielte: mit Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten, den japanischen Soundtüftlern Ryoji Ikeda und Ryuichi Sakamoto und dem E-Musik-Ensemble Zeitkratzer.

Laserstrahlen fügen sich dezent in den Lauf der Lichtschienen an der Hallendecke ein und machen Staubpartikel der Luft sichtbar

Wer das einmal gehört, oder besser noch auf Nicolais Konzerten, in denen er mit psychedelisch-mathematischen Bühnenprojektionen arbeitet, live erlebt hat, weiß, wie sehr da Alchemie, Mystik und ja, Romantik mit hineinspielen, wenn auch ohne Mummenschanz und Theaterdonner. Sogar Laien (wie der Verfasser), die ein Physik- oder Chemielabor besucht haben, kennen die Magie des Leuchtens und Zischens, die da umgeht. Wer das vertiefen möchte, greife zum begleitenden und empfehlenswerten Ausstellungskatalog, der mit Textbeiträgen der Wissenschaftler Anne Bitterwolf und Siegfried Zielinski sowie einem Grußwort des Galerieleiters Thomas Köhler diese Aspekte theoretisch und historisch ausleuchtet.

Für den Hausgebrauch gibt es dann noch einen Bildteil, bei dessen Durchblättern bewusst wird, wie es Carsten Nicolai mit seiner Installation gelingt, das Sehen durchzulüften. Oder in den Worten des Physikers Heinz von Foerster, den Bitterwolf in ihrem Beitrag zitiert: „Man muss zuerst Wahrnehmen wahrnehmen, um überhaupt von Wahrnehmung zu sprechen.“

Bis 3. September, Berlinische Galerie, Alte Jakobsstraße 124–128; heute 19 Uhr Künstlergespräch mit Carsten Nicolai und Siegfried Zielinski

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