die woche in berlin
:

Religiöse Symbole wie die Kippa sollte man den Gläubigen überlassen. Frauen verdienen auch in der Kunst weniger als Männer. Schwer in Ordnung statt schwerbehindert heißt es künftig auch in Berlin. Und es gibt Hoffnung auf Jobs für Berliner Langzeitarbeitslose

Für viele eine echte Chance

Senat will öffentliche Jobs für Arbeitslose

Mit einer Zahlung an alle hat Müllers Vorschlag nichts zu tun

Es hat etwas von einem Déjà-vu: Der Senat will wieder einen öffentlichen Beschäftigungssektor einrichten, sagte Arbeitssenatorin Elke Breitenbach (Linkspartei) diese Woche im taz-Interview. Langzeitarbeitslose, die auf dem Arbeitsmarkt keine Stelle mehr finden, sollen gemeinnützige Jobs verrichten – etwa als FahrgastbegleiterInnen oder Integrationslotsen – und dafür mit Steuergeldern bezahlt werden.

Das gab es schon unter Rot-Rot. Der „öffentlich geförderte Beschäftigungssektor“, kurz ÖBS, war ein Lieblingsprojekt der Linkspartei, die SPD stand dem eher zögerlich gegenüber. Der 2011 gebildete rot-schwarze Senat ließ das Ganze denn auch auslaufen.

Inzwischen haben es sich die Sozialdemokraten offenbar anders überlegt, namentlich Michael Müller. Der Regierende Bürgermeister wirbt seit Monaten für ein „solidarisches Grundeinkommen“. Mit einer Zahlung an alle hat sein Vorschlag nichts zu tun, auch Müller geht es um die Beschäftigung Langzeitarbeitsloser. Die Bezeichnung „Grundeinkommen“ ist also irreführend, klingt aber allemal besser als der rülpserartige „ÖBS“.

Name hin oder her, für viele Langzeitarbeitslose wäre eine öffentliche Beschäftigung eine große Chance. Wenn jemand lange arbeitslos war, älter ist oder keine Ausbildung vorweisen kann, wenn er gar ein Suchtproblem hat oder eine psychische Erkrankung, dann findet er auf dem regulären Arbeitsmarkt nichts. Ein öffentlicher Job zum Mindestlohn würde diesen Menschen eine Perspektive eröffnen mit allem, was daran hängt: Einkommen. Struktur. Würde. Sinnhaftigkeit.

Ältere könnten so eine Beschäftigung finden, die sie bis zum Renteneintritt ausüben, man würde sie quasi überführen und damit ganz aus dem Hartz-System holen. Im Zusammenhang mit dem „solidarischen Grundeinkommen“ fordert Müller unbefristete Stellen für die Langzeitarbeitslosen. Wenn auch Jüngere nicht mehr fürchten müssten, nach einer „Maßnahme“ wieder in das alte System zu fallen, wäre das eine echte Neuerung. Ob das auch so kommt, bleibt abzuwarten.

Vor allem muss jetzt der Bund mitspielen, dessen Gelder braucht Berlin zur Finanzierung. Es sieht gar nicht so schlecht aus: Auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat angekündigt, gemeinnützige Jobs schaffen zu wollen. Antje Lang-Lendorff

Die Bezeichnung „Grund­einkommen“ist zwar irreführend, klingt aber besser als der rülpserartige „ÖBS“

Antje Lang-Lendorff zu neuen Plänen, den öffentlichen Beschäftigungssektor wiederzubeleben

Mehr als nur eine Hülle

Zur Umbenennung des Behindertenausweises

Vor einem guten halben Jahr hatte Hannah Kiesbye aus Pinneberg in Schleswig-Holstein offenbar die Nase voll. Immer wenn sie in den Bus einstieg, musste sie einen Wisch vorzeigen, der die Schülerin mit Down-Syndrom als „schwerbehindert“ ausweist und damit zur Freifahrt berechtigt. Da dachte sich die 14-Jährige etwas aus: Geben wir dem Schwerbehindertenausweis – 7,6 Millionen Menschen in Deutschland haben einen – doch einfach einen neuen Namen. Nämlich: „Schwer-in-Ordnung-Ausweis“.

Und dann passierte etwas, das keine Selbstverständlichkeit ist in einem Land, dass sich mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ganz schön schwertut: Tatsächlich folgten mehrere Bundesländer dieser humorvollen Umdeutung. Seit dieser Woche können Berechtigte auch in Berlin die „Schwer-in-Ordnung“-Hülle für ihren vorhandenen Ausweis beantragen, und damit eine als demütigend empfundene Bezeichnung zumindest kaschieren.

Der Schwerbehindertenausweis selbst bleibt aber in alter Form offizielles Dokument, alles andere müsste der Bund beschließen. Der Begriff Schwerbehinderung – die Medizin kennt übrigens auch noch demütigendere Bezeichnungen wie „schwerstbehindert“ oder, da geht noch was, „schwerstmehrfachbehindert“ – dient an dieser Stelle ja einer notwendigen Unterscheidung. Behörden ist er zum Beispiel Kriterium dafür, wer einen blauen Parkausweis bekommt oder eben wie Hannah eine Freifahrtberechtigung für den öffentlichen Nahverkehr. Nachteilsausgleich nennt sich das, und damit sind wir beim Kern. Wenn wir aufhören, mit Zuschreibungen zu arbeiten (der und der ist so und so behindert) und das Recht jedes Einzelnen auf gleichberechtigte Teilhabe als Ausgangspunkt nehmen, dann müsste dieser Ausweis nämlich tatsächlich ganz anders heißen. Zum Beispiel: Berechtigungsausweis für den Nachteilsausgleich. Vielleicht fällt jemandem auch noch was Schmissigeres ein.

Das wäre jedenfalls ein Zeichen, dass der Staat das mit der inklusiven Gesellschaft verstanden hat und die UN-Behindertenrechtskonvention wirklich ernst nimmt. Manuela Heim

Stellt mehr Künstle­rin­nen aus!

Benachteiligung von Frauen in der Kunst

Jetzt sind sie da, die Zahlen, auf die viele bildende Künstlerinnen in Berlin lange gewartet haben. Eine Studie des Instituts für Strategieentwicklung (IFSE) bestätigte die Vermutung, dass Frauen in der bildenden Kunst nicht nur unterrepräsentiert sind, sondern auch schlechter bezahlt werden als Männer.

Ein Gender-Gap von 28 Prozent und ein sogenannter Show-Gap (es werden mehr Männer als Frauen ausgestellt) von 22 Prozent – das sind deutliche Unterschiede. Das schlägt sich auch im Einkommen nieder: Während Männer knapp 11.600 Euro brutto im Jahr verdienen, bekommen Frauen gerade mal 8.300 Euro.

Die Ergebnisse sind nicht überraschend – aber erschreckend. Ausgerechnet in der Kunstszene, wo man sich so gern mit Gleichstellung und Gerechtigkeit brüstet, sind die Unterschiede eklatanter als im ohnehin schon desaströsen Bundesdurchschnitt. Es sind Zahlen, die sich mit großer Wahrscheinlichkeit auf andere Kultursparten wie Schauspiel, Musik oder Tanz übertragen lassen.

Der Kultursektor ist durch und durch zu weiß und zu männlich. Das wird auch daran deutlich, dass unter den bildenden Künstlerinnen fast ein Drittel „Me too“ gerufen hat – der sexuelle Machtmissbrauch betrifft die Kunst ebenso wie jede andere Sparte in der Gesellschaft. Zu Recht sehen sowohl die Sprecherin des Berufsverbandes Bildender Künstler*innen Berlin (bbk) Cornelia Renz als auch Gabriele Kämper von der Geschäftsstelle Gleichstellung dringenden Handlungsbedarf aufseiten der Berliner Kulturpolitik. Nur wenn Gewaltstrukturen benannt und aufgehoben werden, kann Frauen in allen Bereichen der Gesellschaft eine angemessene Rolle ermöglicht werden.

Es geht eben nicht nur um Kunst – es geht um ein strukturelles Problem unserer Gesellschaft. Um patriarchale, sexualisierte Unterdrückungsmechanismen. Um Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes. Diese Strukturen müssen gebrochen werden, um Frauen, auch in der Kunst, überhaupt erst dahin zu bringen, wo sie hingehören: nämlich gleichberechtigt und gleichgestellt neben männliche Künstler.

Aber das bloße Gefühl von Ungerechtigkeit alleine reicht nicht. Für Veränderung braucht es politische Entscheidungen, und für diese braucht es Fakten. Daher sollten sich andere (Kultur-)Sparten durch die Studie des IFSE ermutigt fühlen, auch ihre Strukturen statistisch auswerten zu lassen, und die Ergebnisse der Politik vorlegen. Und dann gibt da ja immer noch die Möglichkeit einer Quotierung – auch in der bildenden Kunst. Mirjam Ratmann

Das Kreuz mit der Kippa

Solidaritätsaktion „Berlin trägt Kippa“

Achtung, es folgt ein gedankliches Experiment: Nehmen wir alle Berichte rund um den antisemitischen Vorfall in der letzten Woche, als in Prenzlauer Berg ein arabisch sprechender Mann mit einem Gürtel auf einen Kippa tragenden Mann einschlagen wollte – und dabei das arabische Wort für Jude rief. Ein kurzes Handyvideo davon ging viral durch die Decke und sorgte für viel Wirbel, Entsetzen und Empörung.

Und nehmen wir alle Nachrichtentexte und Tweets über die Solidaritätsaktion „Berlin trägt Kippa“, bei der sich am Mittwochabend rund 2.500 BerlinerInnen zum Zeichen gegen Antisemitismus versammelten: indem sich die meisten (der männlichen) Teilnehmer eine Kippa aufsetzten.

Ersetzen wir jetzt in all diesen Verlautbarungen das „jüdisch“ durch „muslimisch“ oder auch „christlich“, das „antisemitisch“ durch „antimuslimisch“ oder eben „antichristlich“. Und dann?

Hätte eine gewalttätige oder verbale Attacke gegen Muslime oder Christen (hier gerne auch andere Religionen oder Minderheiten einfügen) die gleiche Dynamik ausgelöst? Man stelle sich vor: eine Solidaritätsaktion, auf der die TeilnehmerInnen lauter christliche Kreuze mit sich tragen. Oder – um beim muslimischen Beispiel zu bleiben und der Tatsache, dass der Koran eigentlich keine konkreten Bekleidungsvorschriften kennt – eine Soli-Demo mit Gebetsketten und Kopftüchern. Eine absurd anmutende Vorstellung.

Solidarität zu zeigen ist super. Wir brauchen mehr davon. Kippa tragen, um sich mit Juden solidarisch zu zeigen, stellt aber eine unnötige Aneignung dar. Solidarität geht auch ohne religiöse Zeichen und Symbole, die sich die Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft von denen der Minderheit für ein paar Stunden ausborgen. „Man kann Solidarität zeigen“, schrieb Armin Langer, jüdischer Theologe, auf Spiegel Online am Mittwoch, „ohne sich als Opfer zu verkleiden, kommt doch einfach so, wie ihr immer herumlauft.“ Besser könnte man es nicht formulieren. Andreas Hergeth