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Katrin Seddig Fremd und befremdlichDeutsche empören sich gerne, am liebsten über Sachbeschädigung

Lou Probsthayn

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr neuer Roman „Das Dorf“ ist kürzlich bei Rowohlt Berlin erschienen.

Seit ich Kommentare lese, weiß ich: Eines der schlimmsten Verbrechen für die Deutschen ist nicht etwa der Verkauf von Waffen in Kriegsgebiete, das Unterschlagen von öffentlichen Geldern, Steuerhinterziehung, Mord oder zum Beispiel der Holocaust, nein, das schlimmste Verbrechen ist für die Deutschen die Sachbeschädigung.

Die Sachbeschädigung steht an oberster Stelle in der Empörungsskala und immer wieder kann man unter irgendwelchen Berichten den wutschnaubenden Kommentar lesen: „Das ist Sachbeschädigung!“ Also hören Sie, erkennen Sie nicht den Ernst der Lage? Das ist doch Sachbeschädigung. Schlimmer geht es einfach nicht. Das konnte man unter vielen Berichten nach G20 lesen. Autos wurden angezündet. Hallo? Das ist Sachbeschädigung.

Es erfordert einen ungeheuren juristischen Sachverstand, um diesen Tatbestand der Sachbeschädigung überhaupt zu erkennen. Deshalb klären diese juristisch versierten Menschen die anderen, weniger Gebildeten, darüber auf. Sie posten dann diesen einen Satz unter Artikel des NDR: „Das ist Sachbeschädigung!“ Mit Ausrufezeichen natürlich. Damit die anderen weniger juristisch gebildeten Menschen die Brisanz dieser Aussage erkennen. Sachbeschädigung also. Es ist letztens ein Hakenkreuz von einer Kirchenglocke entfernt worden. Ich lese Kommentare und weiß jetzt natürlich, dass das Schlimme an dieser Sache nicht das Hakenkreuz auf einer Kirchenglocke ist, nicht die Erinnerung an Millionen ermordeter Menschen, nein, das Schlimme ist: „Es ist Sachbeschädigung!“ Mensch, erkennt das denn keiner? Sachbeschädigung. Wacht auf!

Es gibt verschiedene Parteien in dieser Diskussion, es ist insgesamt eigentlich eine erfreuliche Sache, finde ich. Vieles ist schön. Schön ist, dass so viele Menschen jetzt wissen, dass Hakenkreuze auf Kirchenglocken waren. Was ja irgendwas bedeutet. Man kann einfach mal darüber nachdenken. Erfreulich ist, dass Menschen finden, man sollte diese Gedanken nicht wegradieren, sondern sich ewig an diese Schande erinnern. Erfreulich finde ich aber auch, dass andere Leute ein Hakenkreuz auf einer Kirchenglocke nicht ertragen. Dass sie sich einschleichen und Sachbeschädigung begehen.

Als ich vierzehn war, zogen meine Eltern in das Dorf, und genau gegenüber meinem Jugendzimmer stand der Kirchturm. Jeden Tag um sieben Uhr läuteten acht Minuten die Kirchenglocken. Auch am Sonntag. Es gibt ja in muslimischen Ländern diesen Muezzin, der um vier Uhr oder was herumschreit, und das soll sehr störend sein. Ich kann nur sagen, für einen Jugendlichen, der am Sonntagmorgen um sieben Uhr für acht Minuten dieses ohrenbetäubende Läuten vor seinem Fenster hat, für den ist das ungefähr das Gleiche. Ich hätte gerne die Straftat der Sachbeschädigung begangen. Aber ich hätte nicht gewusst, wie man eine Glocke zerstört.

Es haben also in dieser kleinen Stadt Schweringen, in Niedersachsen, die Leute das Hakenkreuz sozusagen abgefeilt. Dieses Abfeilen eines Hakenkreuzes muss eine wunderbare Arbeit gewesen sein. Es muss befriedigend gewesen sein. Man mache sich klar, was eine Glocke ist. Sie hat eine rituelle Bedeutung. Sie läutet zum Gebet. Hätte eine Hakenkreuzglocke überhaupt jemals läuten sollen? Läuten diese verdammten Hakenkreuze mittlerweile nicht sowieso schon wieder viel zu laut?

Und dann dachten die Leute anfangs, dass die Glocke ja nicht kaputt wäre, wenn sie ohne Hakenkreuz wäre. Sie wäre ja immer noch eine Glocke, die immer noch läuten könne, die noch brauchbar wäre. Aber jetzt stellt sich also heraus, die Glocke bekommt von diesem Abschleifen vielleicht Risse und ist tatsächlich also irgendwie kaputt. Es soll vielleicht doch eine Untersuchung geben.

Und jetzt schlägt die Stunde des deutschen Kommentators. Denn jetzt ist das eingetreten, was er mit der größten Lust und der größten Abscheu hat kommen sehen: „Es ist Sachbeschädigung!“ Jetzt doch noch. Er hat es ja gewusst. Es ist echte Sachbeschädigung. Sachen, liebe Leser: Sie sind das Wertvollste, das wir haben (Oder waren das die Kinder?)

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