: Feierliche Messe
Eine Ersteinspielung. Eines Stücks immerhin von 1854. So etwas gibt es auch noch. Wobei diese Aufnahme, die der Rias Kammerchor und die Akademie für Alte Musik Berlin mit dem polnischen Dirigenten Łukasz Borowicz erarbeitet haben, nicht die erste Tonträgerfassung von Anton Bruckners „Missa solemnis“ überhaupt ist. Aber die erste der revidierten Urtextfassung. Und die erste, die das Chorwerk so erklingen lässt, wie es bei seiner Uraufführung gespielt wurde.
Dreißig Jahre alt war Bruckner, als er diese „feierliche Messe“ schrieb. Seine monumentalen Symphonien lagen da noch vor ihm, von seinem geistlichen Hauptwerk „Te Deum“ trennen die Messe fast dreißig Jahre. Während er in seinen späteren Werken schwere, großflächig gewirkte Teppiche ausrollen sollte, die in ihrer repetitiven Struktur manchmal fast wie Vorwegnahmen der Minimal Music klingen, hat die „Missa solemnis“ eine kompaktere Bauart, kommt fast leichtfüßig im Gewand der Klassik daher, was gelegentliche Fugen in Anlehnung an das Vorbild Bachs nicht ausschließt. Ergänzt wird Bruckners Messe in dieser Aufnahme durch drei kürzere Werke von Bruckners Komponistenkollegen Robert Führer, Joseph Eybler und Johann Baptist Gänsbacher, die bei der Uraufführung 1854 ebenfalls auf dem Programm standen.
Der Rias Kammerchor und die Akademie für Alte Musik bringen diesem auch in unrevidierter Textfassung selten gespielten Werk die angemessene Frische bei, mit schlankem, klarem Klang und elastisch federnder Spannung.
Für die vier Solisten, die Sopranistin Johanna Winkel, die Mezzosopranistin Sophie Harmsen, den Tenor Sebastian Kohlhepp und den Bariton Ludwig Mittelhammer ,gilt das ebenso. Manche Passagen der Messe mögen eher wenig an die sakrale Musik erinnern, wie man sie etwa von Bach gewohnt sein mag, sondern mehr an Opern.
Doch sogar Bachs vermeintliche teutonische Schwere kannte durchaus auch sportliche Dynamiken und war seinerzeit selbst revolutionär in ihrer Verwendung von Opernelementen. Bruckner steht mithin in einer guten Tradition. Eine Neubegegnung mit dem gottesfürchtigen Romantiker, in vorbildlich festlicher Gestalt Tim Caspar Boehme
Anton Bruckner: „Missa solemnis“. Rias Kammerchor, Akademie für Alte Musik Berlin, Łukasz Borowicz (Accentus Music/Naxos)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen