: Parteitag in der Existenzkrise
Frankreichs Sozialisten bestätigen den neuen Parteichef Olivier Faure. Er soll einen Neubeginn ermöglichen
Aus Paris Rudolf Balmer
Es war ein Parteitag im Zeichen der Existenzkrise, den die französischen Sozialisten am Wochenende in Aubervilliers im Norden von Paris abgehalten haben. „Neubeginn“ lautet das Leitmotiv, erfinden und verkörpern soll den der neue Parteichef, Olivier Faure. Er war für diese von Politologen als schwierig bis unmöglich eingeschätzte Aufgabe bereits drei Wochen zuvor von den Mitgliedern unter vier Anwärtern ausgewählt worden. Die Delegierten haben ihn am Samstag nur noch bestätigen können.
Beneidenswert sind die Umstände seines Amtsantritts nicht. Die 1905 von Jean Jaurès gegründete und 1971 von François Mitterrand reorganisierte Parti Socialiste (PS) kämpft nach Wahlschlappen im letzten Jahr um ihr Überleben und sucht nach Gründen für Optimismus.
Immerhin: Viel tiefer runter geht’s nicht. Der sozialistische Präsidentschaftskandidat Benoît Hamon war vor einem Jahr mit 6,38 Prozent der abgegebenen Stimmen weit abgeschlagen gelandet. Anschließend verlor die ehemalige Regierungspartei von François Hollande mit 10 Prozent so viele Abgeordnetensitze (nur 29 statt vorher 280), dass sie gerade noch genug Sitze für eine Fraktionsstärke hat. Es war das mit Abstand schlechteste Ergebnis des PS seit 45 Jahren. Außer den Wählern waren auch prominente Sozialisten wie der heutige Innenminister Gérard Collomb, Außenminister Jean-Yves Le Drian oder auch der frühere Premierminister Manuel Valls zur Regierungspartei En marche übergelaufen.
Um die Demütigung zu vervollständigen, hat sich die vorherige Parteiführung dazu durchgerungen, den historischen Sitz der PS-Zentrale an der Rue Solférino zu verkaufen, um so den enormen finanziellen Problemen zu begegnen. Rund 50 Millionen soll das einbringen. Zugleich geht mit dieser Adresse im 7. Arrondissement von Paris auch ein Teil der öffentlichen Identität verloren: „Rue Solférino“, das war in den Medien ein Synonym für die Sozialisten. Wo in Zukunft die Partei ihr Domizil haben wird, ist nicht bekannt. Da die Zuschüsse für Parteien den Wahlergebnissen und der Zahl der Mandate gemäß gewährt werden, muss der PS viel sparsamer sein.
Der 49-jährige Olivier Faure will nach der Enttäuschung über Hollande als Vertreter einer jüngeren Generation auch politisch für einen Tapetenwechsel eintreten. „Mit 6 Prozentpunkten vom Nullpunkt entfernt müssen wir alle Risiken eingehen“, sagte er den Delegierten in Aubervilliers.
Die Sozialisten haben, ein wenig ähnlich wie rechts die Konservativen, ein Problem: Welche Haltung sollen sie zu Macrons Reformen einnehmen, die sie zum Teil früher selber gewünscht hatten? In der gegenwärtigen Auseinandersetzung um die Bahn-Reform sind sowohl Sozialisten als auch Konservative kaum zu vernehmen.
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