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Archiv-Artikel

„Deutsche, mischt euch!“

PROGRAMMIERER Alec Empire, Gründer von Atari Teenage Riot, über die Opposition gegen den Staat und die nachlassenden Impulse der Berliner Clubszene. In 20 Jahren will er jedenfalls noch auf seine Geräte tippen

Atari Teenage Riot

■ Atari Teenage Riot wird 1992 in Berlin von Hanin Elias, Carl Crack und Alec Empire gegründet. Von der Originalbesetzung ist heute nur noch Alec Empire dabei. Als 2001 Carl Crack verstarb und Hanin Elias ungefähr zur selben Zeit die Band verließ, löste sich diese vorübergehend auf, bis sie vor zwei Jahren wieder aktiv wurde.

■ Atari Teenage Riot wurden in den Neunzigern zu einer der erfolgreichsten deutschen Bands im Ausland, die Beastie Boys holten sie auf ihr damaliges Label. Die Mischung aus Acid, Techno, Breakbeats, Samples, Metalgitarren und verzerrtem Kreischgesang begründete ein eigenes Genre: Digital Hardcore. Die Band gab sich immer radikal linksaktivistisch, wovon Tracks mit Titeln wie „Hetzjagd auf Nazis“ zeugen.

■ Zum 20-jährigen Jubiläum spielen Atari Teenage Riot am 18. und 19. Oktober im Bi Nuu an zwei Tagen hintereinander zwei unterschiedliche Sets.

INTERVIEW ANDREAS HARTMANN

taz: Herr Empire, Ihre Band Atari Teenage Riot ist in diesem Jahr 20 Jahre alt geworden, erschrickt man da nicht ein wenig?

Alec Empire: Nein. Wenn wir durchgehend existent gewesen wären, vielleicht schon. Aber wir sind ja keine Band, die einfach immer weitermacht, immer mal wieder eine Platte herausbringt und dann wieder auf eine Tour geht. Wir hatten viele Pausen.

Denken Sie nie, dass man sich damals lieber einen anderen Bandnamen ausgesucht hätte? Einen, in dem das Wort „Teenage“ nicht vorkommt?

Wir waren ja schon gar keine Teenager mehr, als wir die Band gegründet haben. Mit 20 hatte man nicht mehr das Gefühl, man sei ein Teenager. Unbedingt jung zu sein ist für uns als Band also gar nicht so wichtig. Unser Bandname kommt von dem Fifties-Song „Teenage Riot“ von Portoguese Joe, einem Prä-Punksong, mit Trommelwirbeln, Soundchaos und Sirenen. Wir wollten als Technoband damals einen Bezug zu Rock ’n’ Roll und Punk herstellen, ohne uns dabei auf etwas allzu Offensichtliches zu beziehen.

Immer „Revolution Action“ oder „Fuck All!“ brüllen und aggressive Musik machen, lässt da nicht irgendwann die Kraft nach? Wird man nicht altersmilde?

Wir programmieren unsere Musik ja immer noch auf dem Atari-Computer, den wir die DNA unserer Musik nennen. Wenn man also weiß, wie unsere Musik entsteht, dann ist klar, dass sich da nicht die bösen, wilden und aggressiven jungen Leute im Übungsraum treffen, die auf die Instrumente hauen und dabei sauer sind. Wir benutzen Computer, und wütend auf die Tastatur des Computers drücken, das bringt gar nichts. Ich könnte, das behaupte ich jetzt mal, auch noch in 20 Jahren solche Platten machen wie heute, wenn meine Ohren dann noch funktionieren und ich noch auf die Geräte tippen kann.

Nervt es, dass Atari Teenage Riot im Ausland mehr gefeiert werden als in Deutschland?

Ist das so? Na ja, das liegt vielleicht daran, dass wir englisch singen.

Schon mal jemanden kennengelernt, der Fan von Rammstein und Atari Teenage Riot ist?

Na klar: Rammstein selbst! Ich habe noch nie jemanden auf unseren Konzerten mit einem Rammstein-T-Shirt gesehen, aber ich kenne genug Musiker oder Produzenten, die beides gut finden, Trent Reznor von Nine Inch Nails beispielsweise. Rammstein scheuen nicht die Konfrontation mit dem eigenen Publikum, das finde auch ich gut an der Band.

Warum gilt heute der Aufruf aus dem Track „Burn Berlin Burn“ immer noch?

Wir sind eben immer noch gegen den Staat und vor allem gegen den mächtigen Staat. Wir finden, dass Nationalismus nur zu Problemen führt. Das sieht man beispielsweise auch bei deutschsprachigem HipHop. Für mich muss Musik international sein. Ob sie das im Einzelfall wirklich ist, das kann man dann diskutieren. Aber sich damit zufrieden zu geben, immer nur etwas aus dem Ausland zu importieren und auf Deutsch aufzuwärmen, das finde ich nicht so interessant. Und daran wird auch die Berliner Clubszene scheitern.

In Berlin interessiert sich kaum noch jemand für Digital Hardcore. In den Clubs läuft stattdessen Minimal-Techno rauf und runter, was ist davon zu halten?

Wir finden, dass Nationalismus nur zu Problemen führt

Das wird der Tod der Szene sein, das kann ich jetzt schon voraussagen. Eines können wir alle unterschreiben, glaube ich: dass es die Euphorie, die es Anfang der Neunziger in Berlin gab, einfach nicht mehr gibt in der Clubszene. Sie sendet keine Impulse mehr. Leute kommen gerne hierher, um in Clubs zu gehen und um sich zuzuknallen, was auch völlig okay ist, wenn das gewollt wird. Aber es ist nicht so, dass in Tokio oder in Los Angeles die Leute Berlin so faszinierend finden, weil hier kreativ so viel passiert. Die Leute beziehen sich eher noch auf David Bowie und dessen Zeit in Berlin, auf diesen Mythos.

Sie sind ein politisch denkender Mensch und Anarchist. In Ihren Tracks, etwa in „Start the Riot“, geht es immer wieder um die Aufforderung, auf die Barrikaden zu gehen. Was haben Sie von Occupy gehalten?

Ich selbst war auf keiner Veranstaltungen von Occupy, aber viele Freunde und Bekannte. An Occupy fand ich die Dinge am spannendsten, die nicht direkt etwas mit Occupy zu tun hatten. Hacker-Aktivismus beispielsweise. Und wie Leute sich organisiert haben. Dass Twitter benutzt wurde, um sich zu vernetzen. Auch die Fragen, die dort gestellt wurden, sind letztlich die richtigen.

Sie sind irgendwann von Berlin nach London verzogen, auch um internationaler ausgerichtet zu sein. Jetzt ist Berlin der Nabel der Welt, alle wollen hierher, die Touristen lieben Kreuzberg, wo Sie inzwischen wieder wohnen, aber den Berlinern ist das auch wieder nicht recht. Wie ist Ihre Position zur Hass-auf-Touristen-Debatte?

Ich liebe Touristen. Touristen sind super, das ist mein Kommentar dazu. Deutsche, mischt euch! Mischt euch mit anderen Kulturen! Blut und Boden, sorry, das ist nicht mehr.