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„Jede Fahrt mit dem Fahrrad ist eine gute“

Kirsten Pfaue ist seit zweieinhalb Jahren Hamburgs „Radverkehrskoordinatorin“. Im taz-Interview lobt sie die neuen Abstellplätze und hofft auf zeitige Realisierung der Velorouten

Daumen hochViele Strecken wie die Alte Harburger Elbbrücke sind heute schon wunderbar zum Radfahren geeignet Foto: :Foto: Daniel Reinhardt/dpa

Interview Leif Gütschow

taz: Frau Pfaue, Hamburg soll Fahrradstadt werden. Läuft der Ausbau der Infrastruktur plangemäß?

Kirsten Pfaue: Wir sind im Plan wirklich auf einem sehr guten Weg. Wir bauen das Veloroutennetz aus, wir machen Machbarkeitsstudien für Radschnellwege, wir schaffen Radverkehrsanlagen. Wir bauen unser Leihsystem mit dem Stadtrad aus. Wir schaffen weit und breit Abstellplätze. Gerade die Verknüpfung mit dem öffentlichen Nahverkehr und dem Rad ist so wichtig. Bis 2025 schaffen wir 28.000 neue Abstellplätze, an allen U- und S-Bahnhöfen.

Gibt es noch die Hamburger Fahrradhäuschen, die von der Stadt bezuschusst werden?

Die Nachfrage ist da, und die Bezirksämter genehmigen auch neue. Es wird natürlich zunehmend schwieriger, Platz für Fahrradhäuschen zu finden.

Bis 2020 soll das Veloroutennetz auf 280 Kilometer angewachsen sein. Erreichen Sie dieses Ziel?

Bei 150 Kilometern haben wir Handlungsbedarf, neun Realisierungsträger sind damit beauftragt, die Planung und den Bau umzusetzen. Wir haben das gesamte Netz jetzt im Blick. Nach jetziger Prognose nehmen wir an, dass wir 2020 einen ganz überwiegenden Teil des Veloroutennetzes fertiggestellt haben werden. Und was dann noch nicht fertig ist, das wird kommen, das liegt dann an prozessbegleitenden Faktoren.

An welchen?

An Baustellenkoordinierung, planungsrechtlichen Voraussetzungen, längerer Bürgerbeteiligungen und schlicht auch auf völlig volle Auftragsbücher bei Planungsbüros und Baufirmen.

Was wird aus den 130 Kilometern Velorouten „ohne Handlungsbedarf“?

Die Idee des Veloroutennetzes gibt es ja schon seit Ende der 1990er-Jahre. Wir haben das gesamte Planungsnetz noch einmal glatt gezogen und auf einen modernen Stand gebracht. Wir haben dann vor Ort uns jede einzelne Teilstrecke angeschaut und gesagt: Daumen hoch oder Daumen runter. Bei Daumen hoch ist nach unserer Auffassung kein Handlungsbedarf mehr, dort bedarf es keiner Planungs- oder Bauleistung mehr. Nur Schilder und Hinweise kommen dort noch, ganz zum Schluss, wenn das Netz überwiegend fertiggestellt ist.

Der „Copenhagenize Index“, der die Fahrradfreundlichkeit von Städten bewertet, mahnt für Hamburg an, dass der Radverkehr besser vom motorisierten Verkehr getrennt werden müsse.

Uns ist der Blick von außen immer wichtig und da hören wir gut zu. Das ist natürlich ein ganz wichtiges Thema. Wir haben in Hamburg allerdings schon an der einen und anderen Stelle entsprechend abgetrennte Verkehrsanlagen. Wie zum Beispiel am Klosterstern durch eine Bordkante im Kreisverkehr oder auch an der Überseeallee. Hamburg ist so groß, da muss man wirklich vor Ort sein und für jede einzelne Maßnahme die beste Lösung finden. Und das sind ganz unterschiedliche Führungsformen, vom Radfahrstreifen bis zum Hochbord.

Eklektizismus im Bau der Infrastruktur ist ein weiterer Punkt, der in dem Index kritisiert wird. Gerade für Besucher der Stadt sei es schwierig, die Radwegsysteme zu verstehen.

Wir sind mitten in einer bebauten Millionenstadt, der Platz ist eng und die Führung des Verkehrs ist komplex. Und da kann es sicherlich an der einen oder anderen Stelle auch dazu führen, dass man im Nachgang noch mal etwas nachbessern muss. Hier lohnt sich der Blick ins europäische Ausland. Besonders begeistert hat mich da Amsterdam, die dort ähnlich enge Straßenräume haben. Die setzen sehr stark auf Fahrradstraßen und das machen wir hier in Hamburg auch.

Kirsten Pfaue

Foto: dpa

45, ist seit 2005 als Radverkehrskoordinatorin in der Hamburger Wirtschafts- und Verkehrsbehörde angesiedelt. Sie war früher Landesvorsitzende des Allgemeinen deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) in Hamburg.

Mit der dänischen Firma Donkey Republic ist seit März 2018 ein neuer Leihfahrradanbieter in Hamburg. Verstehen Sie den Anbieter als Konkurrenz oder als willkommene Alternative zum Stadtrad?

Erst mal ist jede Fahrt mit dem Fahrrad eine gute. Und wir weiten unser Stadtradsystem weiter aus, wir haben im Moment 213 Stationen. Wir werden auf 350 erweitern. Wir haben derzeit 2.450 Räder auf den Straßen und werden auf 4.500 hochgehen. Das Stadtrad ist auch ganz zentral in der Verknüpfung mit dem öffentlichen Nahverkehr und bei Stadtplanungsprozessen.

Gibt es noch nicht erschlossene Stadtteile?

Wir gucken uns natürlich auch die Peripherie an. Da gibt es noch die eine oder andere Lücke. Wir haben übrigens ein großes Online-Beteiligungsverfahren gemacht, das auf eine ­extrem gute Resonanz gestoßen ist. Wo Hamburgerinnen und Hamburger auch angeben konnten, wo Ihre Stadtrad-Station sein soll. Das werten wir derzeit aus.

Was halten Sie von der „Critical Mass“, bei der jeden letzten Freitag im Monat Menschen mit dem Rad den Straßenraum in Anspruch nehmen?

Das ist eine wichtige Veranstaltung, um in den Diskurs zu kommen. Wenn ich mir von außen die Critical Mass anschaue, wenn sie an mir vorbeizieht, dann kann ich verstehen, dass die Radfahrerinnen und Radfahrer einfordern, gesehen zu werden. Und gleichzeitig kann ich auch den Autofahrer verstehen, der in dem Moment wütend wird und sagt: Was ist denn hier los. Aber ich glaube, das ist genau der Diskurs, den wir brauchen, wenn wir in der Stadt auch Veränderung voranbringen wollen. Ich bin da auch schon selber mitgefahren. Es ist Teil der jetzigen Auseinandersetzung.