: Ein Nein ist ein Nein ist ein Nein. Ja?
SENATOR Zu Besuch bei der Industrie- und Handelskammer, verneint Finanzsenator Ulrich Nußbaum grinsend jedes Interesse am Job des Regierenden Bürgermeisters. Selten hat man ihm weniger geglaubt
Es ist alle paar Wochen dasselbe: Die Industrie- und Handelkammer (IHK) lädt am frühen Mittwochmorgen bekannte Politiker zu Vortrag und Diskussionsrunde ein, und der eloquente IHK-Chef Jan Eder versucht, ein paar knackige Sätze aus seinem Gast herauszuholen – auf dass sie die anwesenden Journalisten mitschreiben. An diesem Morgen ist ein Nein die interessanteste Nachricht: „Nein“, sagt Ulrich Nußbaum, der parteilose SPD-nahe Finanzsenator, auf Eders Frage, ob er sich in der Rolle des Regierenden Bürgermeister vorstellen könne. Und Nein sagt Nußbaum noch mal, als Eder in bester Journalistenart nachhakt, ob er dazu nicht noch ein bisschen mehr sagen könne.
Aber wieso ist da so ein Grinsen im Gesicht des Finanzsenators, den Klaus Wowereit 2009 nach Berlin holte? Und wieso ist da auch so ein Glucksen im Publikum? Es besagt: Freundchen, das glaubst du doch selbst nicht.
Da sitzt einer, der die Dinge auf sich zukommen lassen kann. Der von Spaß am Job spricht, der sagt, er empfinde es „noch immer als Privileg, in Berlin an vorderster Stelle als Finanzsenator mitzuwirken“. Während Wowereit im BER-Chaos immer tiefer sackt, ist Nußbaum seit Monaten Berlins beliebtester Politiker – allem Sparen zum Trotz. Sein Vorgänger Thilo Sarrazin musste, lange vor Büchern und Gen-Theorien, Schmähgesänge anhören wie „Die Kinder schrei’n, die Eltern flieh’n, da hinten kommt der Sarrazin“.
Nußbaum kann warten. Nicht er braucht die SPD, sie braucht ihn, so wie die Bundes-SPD einen Peer Steinbrück brauchte, der auch mal Finanzminister war, aber nicht halb so charmant wie Nußbaum rüberkommt. Denn will die SPD 2016 nochmals mit Wowereit antreten? Angesichts des Airport-Desasters ist das vorläufig nicht vermittelbar. Mit Arbeitssenatorin Dilek Kolat, um endlich mal eine Frau mit Migrationshintergrund ganz nach vorne zu bringen? Mit Raed Saleh, dem Fraktionschef, der vor ein paar Monaten im gleichen Sessel, in dem jetzt Nußbaum sitzt, einen wesentlich weniger souveränen Eindruck hinterließ? Fehlt noch das Parteibuch, gegen das sich Nußbaum immer gesträubt hat. Dabei wirkt er SPD-näher als Parteimitglied Steinbrück.
Für einen, der angeblich gar nicht in die allererste Reihe will, prescht Nußbaum an diesem Morgen mächtig weit vor. Entwirft vor dem Hintergrund der künftigen Schuldenbremse gleich mal eine neue föderale Struktur der Bundesrepublik und reanimiert totgeglaubte Fusionsideen. Dem Bund weist er in seinem Modell Kompetenzen auf Kosten der Länder zu, etwa in der Bildungspolitik. Und die teuren Bonner Restministerien fordert er auch gleich für Berlin ein. Da macht sich einer, für den der Job als Fachminister angeblich das Ende der Fahnenstange markiert, eine Menge Gedanken über den eigenen Bereich hinaus. Wie war doch die Frage? Ob er sich die Rolle als Regierungschef vorstellen kann? An diesem Mittwoch im Oktober 2012 kann Nußbaum das ohne große Gewissensbisse von sich weisen, wie es Steinbrück in ähnlicher Weise lange getan hat. Eder sollte die Frage ein Jahr vor der nächsten Wahl erneut stellen. STEFAN ALBERTI