piwik no script img

Loblied auf das Analoge

Die Ausstellung „The Polaroid Project“ im Museum für Kunst und Gewerbe widmet sich dem Mythos der Sofortbildkamera und zeigt jede Menge Künstlerfotos und Kameramodelle

Von Hajo Schiff

Sogar auf dem Mond liegen sie seit Apollo 16. Aber wahrscheinlich werden Polaroidfotos dort nicht so oft betrachtet wie in der internationalen Wanderausstellung, die jetzt im Museum für Kunst und Gewerbe gastiert. Wie selten entspricht die Schau genau dem Museumsnamen: Gezeigt wird beides, die Software und die Hardware, 240 Bilder von 120 Künstlerinnen und Künstlern und 87 Modelle und Kamera-Prototypen – der Mythos und wie er gemacht wurde. Dazu kommt noch die – im Katalog vertiefte – spannende Wirtschaftsgeschichte der letztlich an der digitalen Revolution scheiternden Polaroid-Corporation, die ab 2001 in zweimaligen Bankrott, kriminellen Machenschaften und Versteigerung der Kunst endete.

Doch ein Mythos stirbt nicht: Aktuell leben Nachfolge- und Retro-Produkte wieder auf. Es gibt eine Polaroid-Smartphone-App, eine neue digital-analoge Kamera von Fuji und eine kleine Firma, die in Enschede am ehemaligen europäischen Firmensitz in den Niederlanden wieder die alten Filmkassetten und sogar eine weiterentwickelte Kamera herstellt.

Noch gar nicht so lange, aber völlig selbstverständlich sind alle gewohnt, beliebig veränderbare Bilder auf allen Arten von Bildschirmen zu sehen, ursprüngliche Größe und Textur spielen keine Rolle mehr. Nicht das Bild selbst, sondern der Kommentar bringt die schnell erzeugte und schnell vergessene Emotion dazu. Das funktioniert milliardenfach und erzeugt doch ein leises Unbehagen am Verlust des Originals. So entsteht ein neues Interesse an den sozial nutzbaren und doch einzigartigen, an den nur analog veränderbaren und trotzdem schnellen Polaroidbildern.

Die sind eben nicht elektronisch flüchtig, sondern recht haltbar: James Nitsch hat 1976 seinem Polaroid mit einer teilweise abgebildeten Rasierklinge als Ergänzung das abgebildete Original beigefügt. Dabei ist das Abbild überraschend frisch, das abgebildete Metall hat aber schon Rost angesetzt. Auch erzeugen die Pasten des Integralfilms, die die Farben ergeben, eine eigene, warme Farbigkeit. Achtmal hat Damien Hustinx 1983 in einer experimentellen Serie das Polaroid einer Farbkarte immer wieder abfotografiert, bis aus bunt nur noch Schwarz-Weiß wird.

Ab 1943 arbeitete der amerikanische Physiker und Erfinder Edwin H. Land (1909–1991) an der Sofortbildfotografie, der Legende nach angestoßen von der Frage seiner Tochter, warum das Foto für das sie soeben posiert hatte, nun nicht auch gleich zu sehen sei. 1947 wurde die erste allgemein brauchbare Kamera vorgestellt, von deren Bildern allerdings noch eine Negativ-Folie abzuziehen war.

Am erfolgreichsten wurde dann in den Siebzigern die SX70: „Sofort“ hieß dann in 50 Sekunden, in denen Fotograf und Fotografierte das scheinbar wundersame Werden des in weißem Rahmen erscheinenden Bildes erwarteten und gemeinsam kommentierten. Dieser Ereignischarakter im Umgang mit einem privaten Bild erfüllte schon damals ähnliche Bedürfnisse wie heute auf Instagram gepostete Selfies.

Aber noch etwas anderes steht hinter dem großen Erfolg. Auch wenn nie schlüssig geklärt wurde, was „SX“ bedeuten sollte: Die Tatsache, dass private Fotos nun nicht mehr durch die Hände externer Bearbeiter gingen, hatte auch zu einem immensen Anwachsen intimer Sexbilder geführt.

Die teils sogar mit neuester Weltraumtechnik verglichenen Polaroids waren ein rein westliches Konsumprodukt, ein typisches Erzeugnis des American Dream der 1960er- und 1970er-Jahre, passend zu Pop-Stars wie Andy Warhol. Geschätzt über 60 Prozent aller US-Haushalte hatten eine Polaroid-Kamera – im Osten gab es nur geschmuggelte Exemplare.

Als einige der wenigen hatte dank ihrer Westkontakte das Ostberliner Fotografenpaar Sybille Bergemann und Arno Fischer Zugang zu dieser Technik. In der ganzen Welt waren Künstler von diesen Unikat-Fotos fasziniert. Obwohl eindeutig für den Amateurmarkt produziert, lief die Werbung hauptsächlich über Kunst. Schon im Entwicklungsprozess sicherte sich die Firma Polaroid den bekannten und bis heute für seine technische Präzision geschätzten Fotografen Ansel Adams als Berater. Später verschenkte Polaroid Kameras und Filmkassetten an Künstler: Come and try this crazy thing. Im Gegenzug wurden im Laufe der Jahre eine rund 15.000 Bilder umfassende Sammlung aufgebaut und werbewirksame Ausstellungen organisiert.

Neben den bekannten kleinen Formaten gab es eine 100 Kilo schwere Kamera für riesige 20-x-24-Zoll-Bilder (50 x 61 cm). Die musste von speziellen Polaroid-Technikern im Atelier aufgebaut und bedient werden: Die moderne Vereinfachung war so wieder bei einem Prozedere angekommen, das fast so aufwendig war wie Studiofotografie in der Frühzeit der Fototechnik. Der Kern der Erfindungen bei Polaroid war die trockene Bildchemie, doch auch die modellreich dokumentierte Kameraentwicklung ist interessant.

In der Ausstellung ist eine Auswahl von kleineren der 9.000 Objekte aus der historischen Firmensammlung zu sehen, die an das Massachusetts Institute of Technologie (MIT) gelangte. Auch der von den Designern Charles und Ray Eames aufwendig gestaltete elfminütige Werbefilm ist ein in seinem Zukunftselan aufschlussreiches Zeitdokument.

Die Ausstellung zeigt Fototechnik und Fotokunst zwischen Innovation und Nos­talgie, zwischen beiläufigen Momenten und aufwendig inszenierten Stillleben. „The Polaroid Project“ umfasst Bilder, die ganz malerisch die Möglichkeiten zur Farbmanipulation nutzen, und andere, die sachlich didaktisch dokumentieren. Es ist eine Schau voller Blickweisen, mal konzentriert wie in den großformatigen Porträts eines Chuck Close, mal zersplittert im Versuch, ein Bild aus vielen Winkeln und Aspekten zu kombinieren, wie bei den polyfokalen Collagen von David Hockney. Und sie ist ein Loblied auf das Analoge.

„The Polaroid Project“: bis 17. 6, Museum für Kunst und Gewerbe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen