: Später tanzt sie entrückt
Neue Dramatik beschäftigt sich manchmal mit alten Fragen: Gelungen ist das in dem Stück „Don‘t forget to die“, das auf dem Festival FIND an der Schaubühne über das Altern und Sterben erzählte
Von Katja Kollmann
„Stirb jetzt, zahl später!“ – herrlich lakonisch und nüchtern lassen Ursula Werner, Rosemarie Leidenfrost und Christof Ranke eine fiktive Bestattungsreklame nach der anderen auf die Zuschauer los. Livia Hoffmann-Bouni spielt dazu Chopins Trauermarsch in Dauerschleife. Ein Spruch schafft es bis zum Titel der Inszenierung: „Don´t forget to die“.
Die Münchner Regisseurin Karen Breece hat sich ein ganzes Jahr lang mit älteren Menschen über deren Einstellung zum eigenen Tod unterhalten und daraus einen Text für fünf Personen entwickelt. Uta Maaß fehlt in Berlin, wird aber per Videoaufzeichnung zugeschaltet. Alle fünf Darsteller sind über siebzig Jahre alt. Rosemarie Leidenfrost ist mit 94 Jahren die älteste auf der Bühne. Sie ist bestimmt auch mit Abstand die älteste Mitwirkende beim FIND-Festival der Schaubühne. Nur eine der fünf ist eine professionelle Schauspielerin: Ursula Werner. Sie führt ihre Kollegen wunderbar durch die Inszenierung.
Livia Hoffmann-Buoni setzt sich immer wieder wie von einem Magneten angezogen ans Klavier. Später tanzt die in ihrer Kindheit Erblindete entrückt zu einem David-Bowie-Song. Hoffmann-Buoni ist die Poetin der Gruppe, Ranke der Bayrisch-Bodenständige und Werner die nachdenklich Fragende. Leidenfrost wiederum verbindet auf kongeniale Weise Nüchternheit mit Humor. So sitzen die vier auf der weißen Bank in der Mitte des Schaubühnenstudios und buchstabieren sich durch das ABC des Sterbens. Fragen sich gegenseitig, wie sie am liebsten sterben würden, wie sie gerne begraben sein würden oder ob noch was nach dem Tod kommt, mit einer Leichtigkeit, die ihresgleichen sucht. Dem fast zweistündigen Abend fehlt jegliche Form von Melancholie.
Meeresrauschen
Livia Hoffmann-Buoni träumt vom Sterben und Begrabensein im Meer. „Hier hast du dich“, sagt Rosemarie Leidenfrost und reicht ihr eine Urne. Dann hört man Meeresrauschen und aus der Urne ergießt sich ein glitzerndes Papierfeuerwerk vor die Zuschauer. Leidenfrost hat sich ihren Sarg schon gekauft, den billigsten, denn „Sterben ist schon teuer genug“. Lange geht es nur um die Gegenwart und um eine mögliche Zukunft nach dem Tod. Aber dann erinnern sich Uta Maaß und Rosemarie Leidenfrost an die Allgegenwärtigkeit des Todes in ihrer Kindheit und Jugend. So wurde Uta Maaß´ Vater im Zuge des Attentats vom 20. Juli 1944 gehängt. Die Mutter starb kurz darauf. Leidenfrost sah als Lazarett-Krankenschwester damals hundert Menschen sterben und erinnert sich bis heute an die Augen eines Soldaten kurz vor seinem Tod.
Hoffmann-Buoni glaubt an die Inkarnation und möchte als Hund wiedergeboren werden. Sie könnte in einer anderen Inszenierung des Festivals der internationalen neuen Dramatik ihren Wiedergänger finden: in „Kind Of“ aus Haifa. Yussef Abu-Warda benutzt hier die Beschreibung, wie ein Hund abgerichtet wird, als Metapher für das israelische Bildungssystem in den 1960/70er Jahren. Während der Vorstellung des Al-Midan-Theaters hat man den höchsten Sehgenuss, wenn Abu-Warda den Hund spielt und beim Befehl „Lauf“ wie besinnungslos loshechelt und dann kommentiert: Um frei zu sein, braucht der Hund keinen Befehl und erst recht keine Belohnung. So ist der Ansatz der Inszenierung ein sehr pädagogischer: Theater als moralische Anstalt, in der der israelischen Bildungspolitik der Spiegel vorgehalten wird. Auch hier erinnert man sich an Kriege und an Siegesfeiern, die den Unterricht ersetzen. Da bekommt der Münchner Werbespruch „Don’t forget to die“ einen neuen Kontext.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen