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Ich wollte so gern blond sein

Als Kind war ich auf die Privilegien meiner Mitschülerinnen neidisch.Das hat sich geändert

Die Kinderzeichnung der Autorin ist verschollen, deshalb hat taz-Kolumnist Christian Specht es nachgezeichnet

Als kleines Grundschulkind war ich neidisch auf Carina. Ihr Name klang nicht „anders“, nicht „fremd“. Ich war neidisch auf ihre glatten blonden Haare. Als wir unsere Familie malen sollten, zeichnete ich mir blonde Haarsträhnen um die Ohren. Später war ich neidisch auf Sarah, weil sie in der siebten Klasse ein Praktikum in einer Anwaltskanzlei absolvieren konnte und ich abgeschnittene Haarspitzen von einem grauen PVC-Boden kehren musste. Ich war neidisch auf Lina, die genau so viele Fehler in der Deutscharbeit machte, ihr aber nicht empfohlen wurde, dass sie doch lieber auf die Realschule wechseln soll.

Erst Jahre später verstand ich, worauf ich überhaupt neidisch war. Es sind ihre weißen Privilegien, die ich nicht habe. Ihre Leistungen lohnen sich. Ihre Erfolge sind nicht von ihren Namen abhängig. Sie werden nicht aufgefordert sich von den Taten fremder Irrer zu distanzieren. Sie werden nicht als Kollektiv sondern als Individuen wahrgenommen. Sie schauen nicht auf überraschte Gesichter wenn sie akzentfreies Deutsch sprechen. Sie müssen keine Selbstbestimmung einfordern.

Als ich vor zwei Monaten Carina mit den blonden Haaren traf, gestand sie mir, dass sie auch Neid empfindet. Sie ist neidisch auf meine Sprachenvielfalt, meine Diversität, auf das leckere Essen meiner Mutter und meine langen schwarzen Locken.

Sie sucht Besonderheit in ihrem Leben und ich wollte als Kind einfach dazugehören. Mein Neid wurde angefeuert von meiner Unsicherheit, die eine Folge der erlebten Rassismen war. War ich ein Teil Deutschlands?

Diese Frage stellt sich mir nicht mehr. Könnte ich jetzt vor der kleinen Esra stehen, würde ich ihr den gelben Buntstift aus der Hand reißen und ihr den schwarz malenden Buntstift in die Hand drücken. Esra Ayari

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