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Polen kann auch anders

Dank der Jazzahead präsentieren sich polnische Musik und Kunst im Widerspruch zu Warschaus reaktionärer Politik

Von Jens Fischer

Gerade jetzt versucht die polnische Regierungspartei eine nationalkonservative Kulturrevolution. Propagiert maßlose Vorstellungen von ihrer Macht in der Welt, schottet sich andererseits ab, verbannt Freigeister aus dem Bildungskanon, will die eigene Justiz kontrollieren, sich also als demokratischer Rechtsstaat verabschieden … Gerade jetzt Polen zu feiern ist Anliegen der 13. Jazz­ahead. „Denn gerade jetzt wollen wir die Brücken nicht abreißen lassen“, erklärt Projektleiterin Sybille Kornitschky.

Künstler des Nachbarlandes könnten das andere Polen in Bremen präsentieren. Schon zu staatssozialistischen Zeiten galten sie als eher unabhängig durch ihren In- wie Output im weltweiten Austausch. Wobei die Jazzszene auch heute noch relativ unberührt von staatlicher Reglementierung funktioniere, ist bei den Programmmachern zu hören. Kornitschky: „Die Musiker sind international nur deswegen nicht so sichtbar, weil Jazz in Polen generationenübergreifend zur Alltagskultur gehört.“ Folge: Es gebe genügend Auftrittsmöglichkeiten „und wenig Drang nach draußen“. Wie die Rahmenbedingungen des Kulturschaffens im Partnerland sind, will die Jazzahead erstmals politisch diskutieren. Am 12. April trifft der Chefredakteur der konservativen „Rzeczpospolita“ in der Bürgerschaft auf einen Schriftsteller, eine Kuratorin und eine Theaterkritikerin.

Da sich unterm Label des boomenden Veranstaltungsreigens eigene Aktivitäten prima vermarkten lassen, machen wieder 60 Institutionen vor und während des Festival-, Messe- und Tagungswochenendes (19.–22. April) irgendwas mit Polen. Lassen musizieren, lesen, projizieren, ausstellen: Die Kunsthalle hat ihren Vorplatz aufgehübscht mit „Terminal“, einer weißen Kunststoffröhre. Ab 19 Uhr wird sie innerlich von einer 600 Meter langen LED-Kette illuminiert. Die polnische Lichtinstallateurin Karolina Halatek bezieht sich mit der Skulptur auf den ins Jenseits führenden Tunnel, wie ihn Menschen mit Nahtoderfahrung beschreiben. In Bremen ist er erfreulicherweise in beide Richtungen begehbar und groß genug, um als regensicherer Aufenthaltsraum zu dienen. „Für spirituelle Erfahrungen“, wie Kuratorin Dorothee Hansen behauptet. Schließlich könnten in der schattenlosen Helle die Bezugspunkte zur 3-D-Realität verloren gehen. Egal, Hauptsache trocken. Ein Konzert mit Near-Death-Jazz ist leider nicht geplant.

Die Weserburg blickte als Sammlermuseum nach Polen – und entdeckte die Signum Foundation des mit der Ma­tratzen- und Bettdeckenproduktion reich gewordenen Unternehmerpaares Hanna und Jaroslaw Przyborowski. Die etwa 500 Werke in Poznań, Łódź und einem venezianischen Palazzo hegen und pflegen. 19 sehr unterschiedliche Positionen wurden für die Bremer Schau ausgewählt, um die Einheit in der Vielfalt zu charakterisieren – als Statement gegen die Monotonie des Neo-Nationalismus. „Es geht um Kunst aus Polen als Teil der Weltkunst“, wie der scheidende Weserburg-Chef Peter Friese behauptet.

Vis-à-vis hängen am Entree der Schau zwei Selbstporträts als Brückenschlag von der Historie zur Moderne: Jacek Malczews­ki malt sich 1910 kraftstrotzend mit expressionistischer Farbpalette in einem symbolistischen Arrangement mit einem Jüngling namens Tod; Katarzyna Kozyra präsentiert 1996 ihren Kampf gegen den Krebs, nackt auf einem Krankenhausbett als Chemotherapiepatientin – in der Pose von Edouard Manets „Olympia“ (1865), der selbstbewusst den Betrachter fixierenden Prostituierten. So gelingt ein widersprüchliches Spiel mit unsterblich inszenierter Weiblichkeit und der Realität des Sterbens.

„Es geht um Kunst aus Polen als Teil der Weltkunst“

Peter Friese, Direktor des Museums Weserburg

Wirklich politisch aktuell zu lesen ist vor allem ein Beitrag. Während in Polen derzeit Begriffe wie Geschlecht, Kultur und Nation traditionell refixiert werden, stellt Andrzej Karmasz sie infrage. In Cindy-Sherman-Manier wechselt er seine Identität für großformatige Fotoinszenierungen: den Selbstportraits als Geisha und als nigerianische Fulani-Frau.

Ein Gläschen auf den polnischen Freiheitsdurst lässt sich also im Museum schon mal trinken. So richtig freiheitshungrig miteinander kommuniziert wird aber wohl erst beim Konzertprogramm. Aus 49 Ländern gingen 609 Bewerbungen ein, daraus haben Jurys 40 Bands für die Jazzahead-Showcases im Schlachthof und der Halle IV ausgewählt.

Am 19. April gehört der erste Abend dem Jazz aus Polen, der immer schon etwas intellektueller, improvisationskühner und abstrakter war als der aus den Gastländern Finnland, Schweiz und Frankreich. Als Vorgeschmack arrangiert die Jazz­ahead am 6. April ein Kraut-und-Rüben-Angebot im Theater am Goetheplatz: eine Folkband, ein Ragtime-Duo und Improtheater wollen Sympathien für polnische Kunst wecken.

Fr, 6. 4., bis So, 22. 4., Programm: jazzahead.de

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