Jan-Paul Koopmann Popmusik und Eigensinn: Die Welt ist schlecht
Der Bandname Goethes Erben ist mir lange vor ihrer Musik untergekommen. Er stand auf dem T-Shirt eines blassen Typen, dem so lange Lederriemchen um die Beine flatterten – weil da so richtig viel Bein nicht war und er die Hose eng schnüren musste. Blutig und wimmernd lag der auf dem Boden, weil ihn ein Antifa-Macker auf dem Parkplatz der Dorfdisco zusammengetreten hatte. Damals hatte sich gerade rumgesprochen, dass die Grufti-Szene von Nazis unterwandert wäre (stimmt auch) und fühlte sich so ein Arschloch im Feindkontakt (stimmt nicht).
Das ist eine Randnotiz, klar, und viel beispielhafter sind im Nachhinein sicher die rund 60 Nazi-Skins, die ein paar Monate zuvor ein Goethes-Erben-Konzert im Jenaer Planetarium angegriffen hatten – weil: „Zeckenmusik“. Und trotzdem ist das linke Augenrollen interessant, das man heute noch – zwei Jahrzehnte später – zu sehen bekommt, wenn man so nebenher erzählt, dass man am Ostermontag vielleicht zu Goethes Erben ins Modernes geht.
Tod, Sterben und Einsamkeit kommen in der sich links gebenden Popmusik meist nur im Nebensatz vor. Klar, man ist wütend auf die „Gesamtscheiße“. Und man erinnert sich auch daran, dass man mal angetreten war, kein erniedrigtes, geknechtetes, verlassenes und verächtliches Wesen mehr zu sein – aber das sind natürlich Fragen der Verhältnisse. Über das persönliche Nicht-Aushalten der Sache zu sprechen, bleibt dann doch Sache der Bürgerlichen. Was alles noch schlimmer macht, war die bescheuerte Idee, dieses Grufti-Segment zwischen Das Ich, Lacrimosa und eben Goethes Erben als „Neue Deutsche Todeskunst“ zu labeln.
Die aktuellen „Kammerkonzerte“, auf denen sich Chef-Erbe Oswald Henke am Klavier von Sebastian Boettcher begleiten lässt, sind eine Rückschau auf fast 30 Jahre Bandgeschichte. Die alten Melodien würden erinnert, heißt es, das Ganze aber neu interpretiert. Der Kern ist und bleibt aber Henkes Sprechgesang, diese schneidende Eindringlichkeit, die einen mit harschen Worten in Ausnahmezustände versetzt, wenn man sich denn drauf einlässt. Hart an der Kitschgrenze, aber doch nie drüber. „Und ich kann kein Wort weiterdenken / denn ich habe Angst vor dem Morgen“, heißt’s und das ist keine Analyse der falschen Gesellschaft – sondern eben das, was sie so dringend nötig macht.
Goethes Erben: Mo, 2. 4., 18 Uhr, Modernes
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