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Noch einmal Joan Baez

Sie ist jetzt 77 Jahre alt und auf Abschiedstournee. Mit etwas Glück ergattern Sie noch ein Ticket. Liebeserklärung einer Nachgeborenen

Joan Baez live in Rom im Jahr 2015 Foto: Massimo Valicchia/NurPhoto/picture alliance

Von Noemi Schneider

I’ve been here since Eisenhower / And I’ve out lived even he / I’m the last leaf on the tree“ (aus „Last Leaf“ vom aktuellen Album „Whistle down the wind“)

Sie hat im Laufe ihrer 60-jährigen Karriere viele Stempel aufgedrückt gekriegt: Madonna, barfüßig wohlgemerkt; Königin des Folk, das war von Bob Dylan; Legende, First Lady, Grande Dame, Idol, Ikone, Stimme, Gewissen, so heißt es im Feuilleton. Joan Baez selbst sagte einmal in einem Interview, wenn man sie unbedingt „labeln“ müsse, dann schlage sie als erstes Label: Mensch, als zweites Pazifistin und als drittes Folksängerin vor.

Sag mir, wo die Blumen sind

Ende der 80er Jahre entdeckte ich Joan Baez in der Plattensammlung meiner Mutter.

Das Cover der Amiga-Compilation von 1981, keine Ahnung, wo meine Mutter die her hatte, zeigte sie bildfüllend im Profil, schwarze lange Haare, ein silberner Ohrstecker, dunkler Teint, Blick in die Ferne. Ich fand sie wunderschön, und als sich der Plattenteller zu drehen begann und ich ihre unvergleichliche Stimme zum ersten Mal hörte, war es um mich geschehen, noch dazu verstand ich jedes Wort: „Sag mir, wo die Blumen sind?“ Obwohl die anderen Lieder auf Englisch und Spanisch waren, konnte ich sie innerhalb kürzester Zeit auswendig, und meine Mutter – damals gab es noch kein Internet – erzählte mir alles aus den 60ern und 70ern, was ich verpasst hatte. Und so wurde Joan Baez für mich zum schönsten und mutigsten Menschen, von dem ich je gehört hatte.

Bei meinen Altersgenoss*innen kam Joan Baez jedoch nicht an. Ihr glockenheller, überirdischer Sopran passte nicht zum Sound der 90er Jahre, der im Zeichen kaputter Coolness stand. Während ich mit meinen Mitschüler*innen in dunklen Kellern herumzappelte und „Smells like Teen Spirit“ an die Wände sprühte, besuchte Joan Baez als eine der Ersten in kugelsicherer Weste das vom Bürgerkrieg zerstörte Sarajevo und sang in der Fußgängerzone „Amazing Grace“. Was sonst?

Wahrscheinlich hat Barack Oba­ma daran gedacht, als er im Juni 2015 bei der Trauerfeier für die Opfer des Attentäters von Charleston „Amazing Grace“ anstimmte. Was sonst? Und bestimmt ist es kein Zufall, dass sich auf Joan Baez’ aktuellen Album „Whistle Down the Wind“ Zoe Mulfords Song „The President Sang Amazing Grace“ befindet. Was sonst?

Eines der meist gehörten und bestverkauften Alben in meiner Generation war „MTV Unplugged in New York“ der aus Seattle stammenden Grunge-Band Nirvana. Sie wurde 1994, kurz nach dem Suizid des Frontmanns Kurt Cobain, veröffentlicht. Die letzte Nummer ist ein appalachischer Folksong aus den 1870er Jahren „Where Did You Sleep Last Night“, den Joan Baez dreißig Jahre vor Kurt Cobain unter dem Titel „In the Pines“ bei einem Konzert im Forest Hills Stadion in New York gesungen hatte. Vermutlich kannte Kurt Cobain diese Aufnahme, schließlich liebte er Joan Baez, zumindest gibt es einen kurzen Mitschnitt auf seinen 2015 veröffentlichten „Home Recordings“, der das bezeugt: „I love Joan Baez and Bob Dylan“.

Am Ende jenes Konzerts im Forest Hills Stadion am 17. August 1963 überraschte Joan Baez ihre 14.700 Zuschauer übrigens mit dem Gastauftritt eines bis dato noch recht unbekannten Singer-Songwriters mit Gitarre und Mundharmonika, der kurz darauf berühmter als Elvis wurde, was immer schon sein erklärtes Ziel gewesen sein soll. Musikalisch war Bob Dylan das Beste, was ihr passieren konnte, denn er fand die Worte, die sie suchte. Dylan verfasste die Protest-Evergreens „The Times They Are A-Changin’“, „Blowin’in the Wind“ oder „God on Our Side“, doch zum Mitstreiter ließ er sich nicht machen. In Baez’ 1987 erschienenem Memoir „And a Voice to Sing With“ – ein Bestseller in den USA, der nie auf Deutsch veröffentlicht wurde – schrieb sie, dass sie Dylan einmal fragte, was der Unterschied zwischen ihnen sei und Dylan sagte, das sei ganz einfach, sie, Joan Baez, glaube, sie könne etwas verändern, und er wisse, dass keiner etwas verändern könne.

In meinem ersten Semester an der Filmhochschule guckten wir D. A. Pennebakers berühmten Dokumentarfilm „Don’t look back“ über Bob Dylans dreiwöchige Englandtour 1965. Joan Baez war mit von der Partie als „Dylans Freundin“ und kam nicht gut weg. Im Film hinterlässt sie den Eindruck einer biederen Bananen essenden Spaßbremse, die ins Bett geht, während die anderen Party machen.

Sie war davon ausgegangen, dass Dylan sie auf die Bühne holen würde, so wie sie es in den USA getan hatte, doch Dylan tat nichts dergleichen.

Zehn Jahre nach der Don’t-lookback-Tort(o)ur lud Bob Dylan Joan Baez dann allerdings zu seiner Musikzirkus-Konzerttournee „Rolling Thunder Revue“ ein und Joan Baez war, was meine Kommilitonen betraf, die ich zu einer Sondervorführung des Konzertmitschnitts einlud, rehabilitiert.

„Diamonds and Rust“ heißt jener Song, in dem Baez ihre Beziehung zu Dylan verarbeitet, es ist ein großartiger Song, das findet übrigens auch Bob Dylan, der in einem 2016 vom amerikanischen Sender PBS veröffentlichten Dokumentarfilm über Joan Baez respektvoll schnarrt, dass er „Diamonds and Rust“ liebe und immer noch beeindruckt davon sei, dass ihn Joan in einem ihrer Songs verewigt habe.

Als ich 21 war, war es endlich so weit. Joan Baez ging auf Europa-Tour und machte in München Station. Das Publikum in der ausverkauften Philharmonie bestand überwiegend aus Leuten, die „meine Eltern“ hätten sein können. Von einer Vorband stand nichts im Programm. Um acht Uhr betrat ein Mann um die 50 mit Gitarre, der sich als Darden Smith vorstellte, die Bühne und begann zu spielen. Ich hörte zu. „Meine Eltern“ waren, dem ansteigenden Geräuschpegel im Publikum nach zu urteilen, offensichtlich sehr irritiert und begannen, nach dem dritten oder vierten Lied lautstark zu buhen und mit den Füßen zu trampeln. Ich schämte mich entsetzlich für ihr ungezogenes Verhalten, weil ich ahnte, dass Joan Baez das, wo auch immer sie war, mitbekam und sicher genauso scheiße fand wie ich. Und so war es auch.

Nachdem Darden Smith fluchtartig die Bühne verlassen hatte – hinter den Kulissen soll er geweint haben – stimmte Joan Baez das erste Lied an, ich glaube, es war „The Night, They Drove Old Dixie Down“, aber ich bin mir nicht mehr sicher, denn nach ein paar Takten brach sie ab und hielt dem Publikum eine Standpauke: „I’m deeply hurt, I can not go on like this … Why did you treat him like this?“

The Night, they drove old Dixie down

Darauf fanden „meine Eltern“ an diesem Abend keine Antwort mehr. Joan Baez absolvierte ihr Programm und es soll sogar Leute gegeben haben, die im Nachhinein behaupteten, es wäre doch noch ein super Abend geworden. Say what?

Vierzehn Jahre später beschloss ich, entgegen meinem Vorsatz, nie wieder ein Joan-Baez-Konzert zu besuchen, dem Münchner Publikum eine allerletzte Chance zu geben, und ich sollte es nicht bereuen. „Meine Eltern“ mussten nur gelegentlich von den Türschließerinnen ermahnt werden, die „Filmerei“ zu unterlassen. Ich unterhielt mich blendend mit meinem Sitznachbarn, einem älteren Herrn aus Starnberg im selben Alter wie Joan Baez, der mir von seinen Kindern erzählte. Sein Sohn sei Bandmanager in Berlin, allerdings könne er sich leider nicht an den Namen der Firma, für die er arbeite, erinnern, das Gedächtnis …, seine Tochter arbeite bei KPMG, das könne er sich gut merken und zwar so: ­Kommunistische_Partei_Maschinen_Gewehr.

Punkt acht betrat Joan Baez die Bühne in weißem Hemd mit roter Fliege und schwarzen Jeans, unterstützt von ihrem Sohn, dem Perkussionisten Gabriel Harris, dem Multiinstrumentalisten Dirk Powell und der Sängerin Grace Stumberg. Ihre „Stagehand“, die Person, die zwischen den Songs die Gitarren austauschte und an den Verstärker anschloss, war eine junge Frau. Und ich fragte mich, wieso ich nie auf die Idee gekommen war, mich als Stage­hand bei Joan Baez zu bewerben.

Kurz gesagt: Es war ein formidabler Abend. Es gab anhaltende Standing Ovations, Blumen, Altes und Neues, Politisches, Gefühlvolles und Überraschendes wie „Der Mond ist aufgegangen“ in einer Joan-Baez-Version. Die Stimme, die sie vor ein paar Jahren verlor und wiederfand, ist um eine Oktave gealtert, aber immer noch einzigartig. Das Publikum durfte „It’s All Over Now, Baby Blue“ und „Imagine“ mitsingen und wurde von Ms Baez sogar mit den Worten „magnificent audience“ geadelt. Und als eine der vielen Zugaben gab es sogar „Sag mir, wo die Blumen sind?“ und ganz zum Schluss „Swing Low, Sweet Chariot“, da flüsterte der nette ältere Herr neben mir: „Das haben wir vor 60 Jahren bei den Pfadfindern gesungen!“

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