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Bierlose Bars, schöne Schwänze, gehackte Gehirne

Mal wieder Rekord: 111.000 Menschen haben die 200 Veranstaltungen der lit.Cologne besucht. Da kann schon mal das Kölsch ausgehen

Von Paul Wrusch

Das Kölsch ist aus. „Wir haben nur noch alkoholfreies Bier.“ Ungläubig blickt der Mittvierziger die Bardame an, 10 Minuten vor Beginn der Lesung. Dann eben Weißwein und Fassbrause. Niedergeschlagen begibt er sich mit seiner Begleitung an seinen Platz als einer von über 500 Zuschauern in der Verwaltung von Rheinenergie.

Dass das Bier an diesem Samstagabend des ersten Wochenendes der lit.Cologne bereits am frühen Abend aus ist, sagt etwas über den Erfolg des Literaturfestivals. Denn der Abend „Wir müssen reden“ – eine szenische Lesung mit den besten Gesprächen der Weltliteratur, war schnell ausverkauft, es gab eine Zusatzveranstaltung.

111.000 Menschen besuchten an den zwölf Tagen die knapp 200 Veranstaltungen der 18. lit.Cologne. Mal wieder Rekord. Auslastung: 95 Prozent. Bernhard Schlink, Peter Maffay, Joschka Fischer, Anke Engelke, Ferdinand von Schirach, Iris Berben … die Liste der Gäste ließe sich fortsetzen.

Die Bierlosigkeit am Samstag kann nur als missglückter Auftakt eines ansonsten unterhaltsamen Abends gewertet werden. Auf der Bühne brillierten jedenfalls die Schauspieler Bjarne Mädel und Anneke Kim Sarnau. Sie lesen sich durch Goethe, Nick Hornby, Uwe Timm und – besonders famos – das von Sven Regener aufgeschriebene Telefonat zwischen Herrn Lehmann und seiner Mutter. Blickt man ins Publikum, als „Ein Ehepaar erzählt einen Witz“ von Tucholsky gelesen wird, sieht man lächelnd-konzen­trierte Gesichter, keines, das unbeteiligt wirkt.

Ein paar Tage später legt das Literaturschiff in der Altstadt ab, Kölsch ist reichlich an Bord, die Passagiere sind gut versorgt für die 90-minütige Reise in die schwule Literatur. Heimlichtuerei, Liebe, Aids, Sex. Kranhäuser ziehen vorbei, als Benno Fürmann, Gustav Peter Wöhler und Jerry Hoffmann aus Eduard Louis’ „Das Ende von Eddy“ lesen.

Beerdigungsblues

Zwei Kilometer flussabwärts steht Oscar Wilde im Kreuzverhör wegen eines damals wohl zu liebevollen Briefs an einen jungen Mann. Als der Dom erstmals passiert wird, liest Hoffmann grandios schwul aus „Faggots“ von Larry Kramer: „Schönen Schwanz hast du. Auf dich ist bestimmt jeder scharf.“ Auf der Rückfahrt dann aus W. H. Audens Beerdigungsblues: „Fegt die Wälder zusammen und gießt aus den Ozean, weil nun nichts mehr je wieder gut werden kann.“ Das Schiff gleitet ruhig über den Rhein, der Abend gleicht eher einer emotionalen Achterbahnfahrt.

Am Vormittag ein Abstecher zu einer Kinderveranstaltung. Oliver Scherz schafft es mit seiner szenischen Lesung, die rund 200 Zweit- und Drittklässler, die eben noch in höchsten Tönen im Millowitsch-Theater lärmten, für 45 Minuten in seinen Bann zu ziehen. Ehe dann die Ersten aufs Klo müssen – oder wollen – und Nachahmer finden. Immerhin: Zum Schluss gibt’s viele Fragen und „Zugabe“-Rufe.

In der schönsten Location der lit.Cologne darf Publizistin Miriam Meckel am Donnerstag ihr neues Buch „Mein Kopf gehört mir“ vorstellen: in der Kulturkirche, einem 130 Jahre alten neogotischen Gotteshaus in Nippes. Etwas Predigthaftes hat auch Meckel, nicht Margot-Käßmann-mäßig, sondern witzig, wissend – und doch mahnend. Meckel hat sich mit Brainhacking beschäftigt. Durch Stromstöße Müdigkeit überwinden? Träume auslesen? Erinnerungen manipulieren? Texte schreiben durch Gedanken? Alles schon möglich. Und fast alles hat Meckel für ihr Buch ausprobiert. 24 Stunden in Dunkelheit – „ein bisschen LSD-Trip ohne LSD“ –, einem Computer per Gedanken Worte diktiert, mit Elektroden das Hirn stimuliert.

Sie spricht von Neurokapitalisten, die Geräte und Apps entwickeln, um das Gehirn effizienter zu machen und so Geld zu verdienen. „Ein rein funktionalistisches Menschenbild“ stehe dahinter. Aus Selbstoptimierung könne Selbstbeschädigung werden. „Unser Hirn zu manipulieren heißt, unsere Persönlichkeit zu verändern.“ Wir sollten uns der menschlichen Imperfektion wieder bewusst werden und sie schätzen, so Meckel. Ihr Buch kann als Warnung verstanden werden.

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