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Dicke Männer, schlaue Frauen

Zwei Premieren: die Operette „Blaubart“ von Jacques Offenbach an der Komischen Oper, Verdis „Falstaff“ an der Staatsoper

Von Niklaus Hablützel

Das Wochenende der Opernpremieren begann diesmal schon am Freitag und aus Rücksicht auf die arbeitende Bevölkerung erst um halb acht. Die Nacht danach wurde recht lang, und ohnehin war die Komische Oper etwas ins Stolpern geraten. Der Bühnenbildner Christof Hetzer hatte für den Regisseur Stefan Herheim derart lebensgefährliche Installationen entworfen, dass selbst sieben Wochen Probezeit nicht ausreichten, am geplanten Termin des 17. März eine hinreichend unfallsichere Aufführung auf die Bühne zu bringen.

In der Tat ist der riesengroße, wacklige Theaterwagen spektakulär genug, mit dem das Spiel beginnt. Der zwergenhaft verwachsene Schauspieler und Musiker Rüdiger Frank muss ihn mühselig hinter sich herziehen. Wolfgang Häntsch, sonst in zahllosen Fernsehfilmen unterwegs, sitzt auf dem Kutscherbock, schimpft und peitscht auf ihn ein, bis er zusammenbricht. Häntsch, ein großer, stämmiger Mann, liest ihn auf und trägt ihn weg wie eine kaputte Gliederpuppe.

Nein, tot ist der Zwerg nicht, er ist sogar unsterblich und die beiden haben noch viel vor. Beide sind Allegorien, es donnert und blitzt gewaltig um sie herum, denn Häntsch ist der Gevatter Tod mit Sense, Frank ist Cupido, der Liebesteufel mit Goldlocken und listigem Lachen. Der schwankende Theaterwagen öffnet sich für den Blick auf lieblich in Pastell gemalte Landschaften, zierlich tanzt ein junges Paar ein Ballett davor. Aber immer noch hängen im nachtschwarzen Bühnenhimmel die zwei Riesengirlanden aus menschlichen Knochen.

Sicher und selbstbewusst stellt Herheim einen möglichst weiten Rahmen für die letzten Fragen der Menschheit an den Anfang. Nur passt danach das Stück nicht so recht in diese Transzendenz. Es ist „Barbe bleu“ von Jacques Offenbach, eine „opéra bouffe“ aus dem Jahr 1866 – und vielleicht nicht seine beste. Seine Librettisten Meilhac und Halévy haben das alte Schauermärchen vom Ritter mit den eingemauerten Ehefrauen zum Anlass genommen, ein wenig über Heuchelei und Doppelmoral der besseren Gesellschaft zu lästern. Aber eben nur ein wenig, und Offenbach gab dazu, was er am besten konnte: Couplets und Tänze von so bösartiger Banalität, dass man sie danach kaum noch aus den Ohren kriegt.

Walter Felsenstein, die Vaterfigur des Hauses nach 1948, hat daraus eine Legende gezaubert, die etwa 30 Jahre lang die Kassen füllte. Der Intendant Barrie Kosky wollte ihn damit zum 70-jährigen Jubiläum ehren, aber Herheims Welt ist das nicht. Verzweifelt lässt er seinen metaphysischen Tod das Spiel mit einer kultur- und gesellschaftskritischen Tirade über dieses Gesinge unterbrechen. Sie klingt parodistischer, als sie es in Wahrheit ist.

Herheim fürchtet sich vor Offenbach und versteckt sich hinter Walter Felsenstein. Alle Kostüme und Teile der Kulissen sind Zitate aus Felsensteins Fundus. Die Sängerinnen und Sänger wirken darin merkwürdig museal, eher pflichtbewusst als frech und komisch. Nur Peter Renz kann als König Bobèche mit einer grandiosen Kabarettnummer über die Schloss­attrappe in Berlins Mitte den Schatten abwerfen. In der Titelrolle dagegen ist Wolfgang Ablinger-Sperrhacke kaum mehr als dicker Trottel, über den ganz sicher niemand lachen kann, nicht einmal seine toten Frauen, die natürlich gar nie tot waren.

So zieht sich der Abend in die Länge, zumal Herheim auch noch einen Spezialisten für alte Musik bat, musikalische Zitate einzufügen. Es klingt alles nach Rechtfertigung dafür, eine Operette überhaupt spielen zu dürfen. Für Herheim muss sie unbedingt eine tiefere Bedeutung haben. Am Ende bleibt davon nur der wunderbare Rüdiger Frank zurück, der über soviel Missgeschick dann doch wenigstens lächeln kann.

Alles klingt wahr, aber auch immer ein wenig traurig. Erst daraus entsteht die Komik

Harte Arbeit auf dem Feld der Komik, aber wer sich Eintrittsgelder zwischen 275 und 170 Euro leisten konnte, durfte am am späten Sonntagnachmittag in die Staatsoper gehen, lachen, staunen und den Abend ausklingen lassen im Gefühl, etwas absolut Großes erlebt zu haben. Der Saal ist nun mal scheußlich, klingt aber gut und Daniel Barenboim dirigiert seine Staatskapelle, Michael Volle singt die Titelrolle und Mario Martone inszeniert Giuseppe Verdis letzte Oper, „Falstaff“.

Martone zählt zu den wichtigsten Regisseuren Italiens. Besoffene Altrocker und Hausbesetzer lümmeln in ihrem Sanierungsgebiet herum, Graffiti an den Ziegelmauern, dazu Nutten aus der „Panorama Bar“. Mitten drin schwafelt Michel Volle über Geld, Frauen und Ehre. Nur redet er nicht. Er singt Verdi. Das ist fast dasselbe, weil Barenboim dirigiert. Mit ihm kann Volle den ganzen Mikrokosmos menschlicher Mängel entfalten, den Verdis Librettist Arrigo Boito aus Stücken von Shakespeare heraus kompiliert hat.

Volle liebt diesen Halunken, Angeber und Fettsack so sehr, wie der alte Verdi ihn geliebt haben muss. Alles klingt wahr, aber auch immer ein wenig traurig. Erst daraus entsteht die Komik, für die Verdi musikalische Formen entwickelt hat, die ihresgleichen suchen. Es gibt keine Arien mehr, alles ist sprechender Gesang, manchmal in irrsinnigem Tempo und endet im Riesengelächter einer gewaltigen Fuge. „Alle sind betrogen“ ist Falstaffs letzter Satz, auch die anständigen Bürger auf der anderen Seite seiner Gesellschaft. Martone hat sie ins Designerloft mit Swimming Pool einquartiert. Schlaue Ehefrauen haben ihren Spaß mit dem dicken Weiberhelden, Nadine Sierra und Francesco Demuro vollenden als zartes Liebespaar ein Meisterwerk für die Ewigkeit.

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